Bindung und Sucht
diagnostizierte Computerspielsucht tatsächlich als ein adoleszentes Durchgangsphänomen zu klassifizieren wäre, mit 15 % gering ausfiel. Der überwiegende Teil der rund 3000 auf ihr Computerspielverhalten hin untersuchten Kinder und Jugendliche erfüllten bei einer Zweitbefragung nach 2 Jahren konsistent die diagnostischen Kriterien für einen suchtartigen Computerspielkonsum (Gentile et al. 2011).
Folgen für die Süchtigen und neurologische Befunde
Im Rahmen der Entwicklung einer substanzungebundenen Suchterkrankung (im Sinne von Internet- und Computerspielsucht) wird das exzessiv ausgeführte Verhalten am PC zunehmend zur einzigen Verhaltensalternative und verdrängt mehr und mehr alternative Beschäftigungen (wie z. B. Hobbys, nicht-virtuelles Sozialleben, leistungs- und berufsbezogene Beschäftigungen). Typischerweise werden – ähnlich wie bei den substanzgebundenen Abhängigkeitserkrankungen – erlaubniserteilende Kognitionen berichtet, die das Nutzungs- und Spielverhalten in seiner gesteigerten Frequenz und Dauer dem Betroffenen, entgegen aufkommenden Einsichtsprozessen, genehmigen. Das Internetnutzungsverhalten wird somit mehr und mehr zu einer unter dem Druck des Verlangens nach dem Spiel ausgeführten Tätigkeit. Patienten mit klinisch evidenter Internetsucht berichten häufig, dass der anfänglich als positiv und befreiend erlebte Unterhaltungseffekt im Verlauf exzessiver Spiel- und Nutzungszeiten dem erlebten Druck oder Zwang, spielen zu müssen, weicht. Grundsätzlich entwickeln sich im Verlauf der Zunahme für den Betroffenen spürbare negative Veränderungen im psychosozialen Funktionsniveau.
Psychische Störungen wie die Internet- und Computerspielsucht können als dysfunktional erlernte Verhaltensweisen verstanden werden, wobei Lernen vor dem Hintergrund biologischer, genetischer und evolutionärer Bedingungen erfolgt. Entsprechend eines so zugrunde liegenden Persönlichkeitsmodells können Merkmale der Störungen auch wieder verlernt werden. In der klinisch-therapeutischen Arbeit der Ambulanz für Spielsucht werden Merkmale des Lernens, diesem Modell folgend, sowohl für die Entstehung und Aufrechterhaltung als auch für die Therapie von Verhaltenssüchten als zentral angesehen. Das Auftreten von Symptomen exzessiver Computernutzung parallel mit anderen psychiatrischen Erkrankungen (wie z. B. affektive Störungen oder Angststörungen) wird von verschiedenen Autoren dahingehend interpretiert, dass »die pathologische Internetnutzung« nur eine Komorbidität – also eine Begleiterscheinung – von zugrunde liegenden Primärdiagnosen sei (z. B. Te Wildt et al. 2006; Yellowlees et al. 2007).
Neurowissenschaftliche Befunde unterstützen die Annahme, dass es sich beim Symptomkomplex der Internet- und Computerspielsucht tatsächlich um eine Suchterkrankung handelt, da vergleichbare dysfunktionale Plastizitätsprozesse des Gehirns bei Patienten mit Computerspielsucht nachweisbar sind, wie sie aus unterschiedlichen Untersuchungen zur Substanzabhängigkeit bekannt sind. Sowurden von Thalemann und Kollegen (2007) im Rahmen einer psychophysiologischen Untersuchung exzessive Computerspieler und Gelegenheitsspieler bezüglich ihrer kortikalen Erregung nach Darbietung von computerspielassoziierten Reizen untersucht. Zur Messung der Gehirnaktivität mittels EEG (visuell evozierte ereigniskorrelierte Potentiale) wurde das Reizreaktionsparadigma – welches auch bei substanzgebundenen Abhängigkeitserkrankungen zum Nachweis kortikaler Veränderungen durch das chronische Suchtverhalten dient – angewendet. Exzessive Computerspieler mit pathologisch einzustufendem Spielverhalten und Gelegenheitsspieler wurden mit verschiedenen Reizkategorien (negative, positive und neutrale Reize, Computerspiel und Alkohol) konfrontiert. Parallel wurde die Gehirnaktivität der Probanden registriert. Nach Analyse der hirnphysiologischen Daten konnte eine veränderte kortikale Verarbeitung der computerspielassoziierten Reize in der Gruppe der exzessiven Computerspieler nachgewiesen werden. Die exzessiven Computerspieler verarbeiteten computerspielassoziierte Reize signifikant erregender als neutrale Reize. Die Gelegenheitsspieler verarbeiteten die computerspielassoziierten Reize jedoch ähnlich wie neutrale Reize. Die Ergebnisse der psychometrischen und physiologischen Untersuchungen können im Sinne einer stärkeren emotionalen und motivationalen Reizverarbeitung bei exzessiven Computerspielern interpretiert werden (Thalemann
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