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Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Heinz Brisch
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sinnvolles Nutzen der jeweiligen Angebote hinausgeht. Typischerweise werden Webapplikationen – wie Nachrichtenportale, Videoplattformen, Online-Lexika oder Suchmaschinen – von betroffenen Personen über viele Stunden des Tages hinweg durchgängig genutzt. Bei der meist nicht-zielgerichteten Suche nach Informationen, abwechslungsreichen visuellen Inputs oder unterhaltender Stimulation werden Nutzungszeiten aufsummiert, die im Extremfall einen geregelten Tagesablauf nicht mehr ermöglichen. In textbasierten Portalen ist es die Darstellungsform des Hypertextes, der durch die zahllosen Verlinkungen in einem Textabschnitt die Möglichkeit bietet, jede Information, die der Rezipient aufnimmt, »tiefergehend« zu hinterfragen bzw. mit mehr Information zu hinterlegen. Dies kann dem Betroffenen eine Art Endlosigkeit der sofort verfügbaren Informationsfülle suggerieren, die in dem Drang, immer mehr Information in immer kürzeren Zeitabständen »zu konsumieren«, gipfeln kann. Eine suchtartige Entwicklung beim Betroffenen vorausgesetzt, nimmt das Ausmaß der Informationsbeschaffung stetig zu – wohingegen die objektive Sinnhaftigkeit der konsumierten Inhalte für den Betroffenen stetig abnimmt. Suchtartige »Informationssucher« können im Stadium einer exzessiven Nutzung kaum noch zwischen für sie relevanten Tätigkeiten im Internet (z. B. der Informationsrecherche für eine Arbeit in Ausbildung oder Studium) und nicht relevantem Surfen unterscheiden. Die Betroffenen entwickeln den Drang, ständigverfügbare Informationen auch zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens abrufen zu müssen.
Diagnose der Internet- bzw. Computerspielsucht und Häufigkeit des Vorkommens
    In der bisherigen Forschungsliteratur (vgl. beispielsweise Shaw & Black 2008) wird der Symptomkomplex »Internet- bzw. Computerspielsucht« häufig in Anlehnung an die zentralen Symptome der substanzgebundenen Abhängigkeitserkrankungen definiert – als Leitsymptome gelten dabei das unwiderstehliche Verlangen, das Internet zu nutzen/am PC zu spielen, und die verminderte Kontrollfähigkeit des Betroffenen bezüglich Beginn, Beendigung und Dauer der Nutzung des Internets/von Computerspielen. Ebenso zählen anklingende Entzugserscheinungen (Nervosität, Unruhe, Schlafstörungen) bei verhinderter Internet-/Computerspielnutzung zu den diagnoserelevanten Kriterien. Der Nachweis einer Toleranzentwicklung (Steigerung der Häufigkeit oder Intensität/Dauer der Internetnutzung/des Computerspielens) und die fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen sowie die anhaltende exzessive Internet- und Computerspielnutzung trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen (z. B. Leistungsabfall in Schule/Beruf, Übermüdung, Verschiebung des Schlaf-Wach-Rhythmus, oft auch Fehl- oder Mangelernährung) werden im Rahmen der Diagnostik einer Internetsucht bestimmt.
    Die klinische diagnostische Einordnung einer Internet- und Computerspielsucht in den Diagnosesystemen ICD-10 (Dilling et al. 2000) oder DSM-IV-TR (Saß et al. 2003) ist bisher noch nicht als Sucht oder süchtiges Verhalten möglich, sondern nur unter »Nicht näher bezeichnete Störung der Impulskontrolle« (ICD-10: F63.9 bzw. DSM-IV-TR: 312.30) in Analogie zum pathologischen Glücksspiel zu verschlüsseln. Eine spezifische Diagnose fehlt bisher, um Betroffenen effektive Interventionsmaßnahmen anbieten zu können (vgl. Grüsser et al. 2007). Die internationale Diskussion beinhaltet, dass im Rahmen der anstehenden Revision des DSM (Saß et al. 2003) zum DSM-5 die bisherige Kategorie »Substance Related Disorders« umbenannt wird und unter der Bezeichnung »Addiction and Related Disorders« eine substanzungebundene Abhängigkeit (pathologisches Glücksspiel) implementiert werden soll. Die Diagnose »Internet Addiction« (Internetsucht) könnte in diesem Zuge im Anhang des DSM-5 als Forschungsdiagnose Berücksichtigung finden (Holden 2010).
    Das international wohl am häufigsten eingesetzte Testverfahren zur Diagnostikund Erfassung einer Internetsucht ist der Internet Addiction Test (IAT; Young 1998). Young entwickelte diesen mit 20 Fragen umfangreichen Fragebogen (»How often do you find that you stay online longer than you intended?«) für ihr Selbsthilfebuch Caught in the net (Young 1998). Der IAT beinhaltet Items, die mit pathologischem Internetgebrauch assoziiert sind und den Kriterien der substanzgebundenen Suchterkrankungen entlehnt sind. Unter anderem decken sie psychische Abhängigkeit,

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