Bindung und Sucht
schnell verfügbare Omnipotenz- und Machtgefühle haben dann im Verlauf einer substanzungebundenen Suchtentwicklung längst ihre Sogwirkung auf die Betroffenen entfaltet.
Laut einer Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest zu Jugend, Information und (Multi-) Media (MPFS 2010), in der 1208 Jugendliche befragt wurden, sind 100 % der Befragten mit einem Handy, einem PC oder einem Laptop ausgestattet; 99 % der Haushalte, in denen die Befragten leben,verfügten über einen Fernseher (MPFS 2010). 74 % der der 12- bis 19-Jährigen nutzten eine feste Spielkonsole, 67 % eine tragbares Gerät. Betrachtet man in diesem Zusammenhang die unterschiedlichen Formen der Mediennutzung, so fällt auf, dass eine besonders ausgeprägte Diskrepanz zwischen Jungen und Mädchen bei der Nutzung von (Offline-) Computer- und Konsolenspielen bestand. So gaben 55 % der Jungen im Vergleich zu nur 14 % der Mädchen im Jahr 2010 an, täglich bzw. mehrmals pro Woche Computer- und Konsolenspiele (offline) zu nutzen. Bei 98 % der Befragten verfügt das Heim über einen Internetzugang (MPFS 2010). Gerade der PC mit Internetzugang stellt ein immer häufiger genutztes Medium der Heranwachsenden dar, das einerseits Chancen zur Entwicklung, zum Wissenserwerb, zur Intensivierung von Familienbeziehungen oder zur Entwicklung und Pflege von sozialen Kontakten bietet – andererseits jedoch auch das Risiko einer sich verlierenden, haltlosen und zunehmend isolierenden Lebensgestaltung bei einer unkontrollierten, exzessiven Nutzung birgt.
Internet-Abhängigkeit bzw. Internetsucht – Beschreibung
In den USA thematisierte Young (1998) bereits Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts ein Abhängigkeitspotential des Internets. Sie subsumiert unter dem Begriff verschiedene Online-Aktivitäten (Chatten, Spielen von Onlinespielen oder Nutzen von Online-Glücksspielangeboten, Shopping, Online-Börsen-Spekulationen, soziales Networking), die exzessiv entgleiten können. Durch die Breite der unterschiedlichen Handlungsoptionen, die die verschiedenen Online-Aktivitäten umfassen können, bleibt der Begriff der Internet-Abhängigkeit bzw. Internetsucht genuin unscharf und ist als Sammelbegriff zu verstehen. Bei der Recherche nach den negativen medizinischen oder psychischen Folgen von exzessivem Internetverhalten finden sich in den einschlägigen Datenbanken weitere Begriffe zur Beschreibung des Phänomens, wie »Onlinesucht«, »Onlineglücksspielsucht«, »Computerspielsucht«, »Technological Addiction« oder »Digital Addiction«. Die letztgenannten Begriffe sollen der Form und der Technologie, die das süchtige Verhalten dynamisch beeinflusst, Rechnung tragen und wurden von Griffiths (1999) vorgeschlagen.
In der klinischen Praxis werden mit der »Präsentiersymptomatik« Internetsucht – neben der Mehrheit der Patienten mit Computerspielsucht – vor allem solche mit suchtartigem Surf- und Chatverhalten oder suchtartiger Nutzung von sozialen Netzwerken, aber auch Personen mit suchtartiger Nutzung von Onlinepornographie (Onlinesexsucht), Onlinekaufsucht oder Online-Glücksspielsuchtvorstellig. Beim exzessiven Nutzen sozialer Netzwerke stellt der Avatar (Stellvertreter des Internetnutzers in der digitalen Welt) oder das Nutzerprofil, das von anderen Personen eingesehen werden kann, meist eine Art virtuelles Abbild dar, das der aktiven Selbstdarstellung und -vermarktung und in manchen Fällen auch der stark geschönten Darstellung der Ich-Anteile dient. Diese Profile ermöglichen dem Nutzer, schier unzählige Kontakte mit anderen Nutzern zu knüpfen und zu pflegen. Bei problematischen Nutzern besteht oft der Hang, mehr und mehr Kontakte »zu sammeln«; dies kann unter Umständen zur einzigen Quelle an Selbstwertzufuhr werden. Umso mehr der Nutzer sich auf seine virtuelle Identität emotional und gedanklich bezieht, desto abhängiger wird er von dem Zuspruch zu seinem Profil werden.
Eine außergewöhnliche und im Vergleich eher seltenere Form von exzessiver und suchtartiger Nutzung des Internets stellt das sogenannte »süchtige Surfen« dar. Diese Form der exzessiven bzw. suchtartig entgleitenden Internetnutzung ist klinisch-phänomenologisch bislang noch nicht genau umgrenzt und wird im englischsprachigen Raum auch als »compulsive surfing« (»zwanghaftes Surfen«) beschrieben (Young 1998). Unter dem Begriff wird unkontrolliertes Surfen im Internet auf verschiedenen Plattformen verstanden, das weit über ein (auch subjektiv empfundenes)
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