Biokrieg - Bacigalupi, P: Biokrieg - The Windup Girl
konnte dieser verfluchte, ehrenhafte Jaidee das Handelsministerium nicht in Ruhe lassen?
War er nicht gewarnt worden? Und nun muss sie seinen Söhnen einen Besuch abstatten. Den tapferen Jungen erklären, dass ihr Vater ein guter Kämpfer war und ein reines Herz hatte. Und jetzt hätte ich gerne seine Ausrüstung. Vielen Dank auch. Schließlich gehört sie dem Ministerium.
Kanya klopft an der Tür. Tritt einen Schritt zurück, um der Familie Zeit zu geben, sich zu fassen. Einer der Jungen – Surat, glaubt sie – öffnet ihr, vollführt einen tiefen Wai und ruft laut in die Wohnung hinein: »Es ist Ältere Schwester Kanya. « Jaidees Schwiegermutter eilt herbei. Kanya verneigt sich ebenfalls, die alte Frau erwidert die Geste und bittet sie herein.
»Es tut mir leid, dass ich Sie stören muss.«
»Sie stören nicht.« Ihre Augen sind rot. Die beiden Jungen mustern Kanya ernst. Allen ist die Situation unangenehm. Schließlich sagt die alte Frau: »Sie möchten bestimmt seine Sachen haben.«
Kanya ist viel zu verlegen, um zu antworten, aber sie bringt ein Nicken zustande. Die Schwiegermutter führt sie in ein Schlafzimmer. Die allgemeine Unordnung spricht eine deutliche Sprache – die alte Frau trauert. Die Jungen lassen Kanya nicht aus den Augen. Die alte Frau deutet auf einen kleinen Schreibtisch in einer Ecke, auf dem eine Kiste steht. Akten, an denen er gearbeitet hat. »Das ist alles?«, fragt Kanya.
Die alte Frau zuckt mit den Achseln. »Mehr hat er nicht behalten, nachdem das Haus abgebrannt ist. Ich habe nichts angerührt. Er hat das hierhergebracht, bevor er in den Wat ging.«
Kanya versucht ihre Beschämung mit einem Lächeln zu überspielen. »Kha. Ja. Natürlich. Tut mir leid.«
»Warum haben sie ihm das angetan? Hatte er noch nicht genug durchgemacht?«
Kanya zuckt ohnmächtig mit den Schultern. »Ich weiß es nicht.«
»Werden Sie sie finden? Werden Sie Rache an ihnen nehmen? «
Sie zögert. Niwat und Surat mustern sie ernst. Ihre Munterkeit ist völlig verschwunden. Ihnen ist nichts mehr geblieben. Kanya senkt den Kopf und verneigt sich tief. »Ich werde sie finden. Das schwöre ich. Und wenn ich mein ganzes Leben dafür brauche.«
»Müssen Sie seine Sachen mitnehmen?«
Kanya lächelt unsicher. »Das ist so vorgeschrieben. Ich hätte schon früher kommen sollen. Aber …« Sie bringt den Satz nicht zu Ende. »Wir hatten gehofft, dass sich das Blatt noch wendet. Dass er wieder zu uns zurückkehren würde. Wenn irgendwelche persönlichen Dinge darunter sind, bringe ich sie Ihnen natürlich zurück. Aber seine Ausrüstung brauche ich.«
»Natürlich. Sie ist wertvoll.«
Kanya nickt. Sie kniet sich neben die WeatherAll-Kiste. Darin herrscht ein heilloses Durcheinander – Schriftstücke, Umschläge, Dienstliches. Ein Ersatzmagazin für eine Federpistole. Ein Schlagstock. Seine Handschellen. Akten.
Kanya sieht Jaidee vor sich, wie er diese Kiste packt. Chaya hatte er da bereits verloren, und bald würde er alles verlieren. Kein Wunder, dass er damit nicht besonders behutsam umgegangen war. Sie kramt in der Kiste. Findet eine Fotografie von Jaidee aus Kadettentagen: Er steht neben Pracha, und beide wirken sie äußerst jung und selbstbewusst. Nachdenklich nimmt sie das Bild heraus und legt es auf den Tisch.
Sie blickt auf. Die alte Frau hat das Zimmer verlassen, aber Niwat und Surat beobachten sie noch immer, wie ein Krähenpärchen. Sie hält ihnen die Fotografie hin. Niwat greift schließlich danach und zeigt sie seinem Bruder.
Kanya sieht rasch den Rest der Kiste durch. Alles andere scheint dem Ministerium zu gehören. Sie verspürt eine gewisse
Erleichterung; also wird sie nicht hierher zurückkehren müssen. Da stößt sie auf eine kleine Teakschatulle. Sie öffnet sie. Medaillen von Jaidees zahlreichen Turniersiegen leuchten ihr entgegen. Schweigend reicht sie sie den Jungen, die sie staunend betrachten, während Kanya die letzten Unterlagen durchgeht.
»Hier ist was drin«, sagt Niwat. Er hält einen Umschlag hoch. »Ist das auch für uns?«
»Lag das bei den Medaillen?« Kanya zuckt mit den Schultern und fährt fort, in der Kiste zu kramen. »Was ist es denn?«
»Bilder.«
Kanya blickt verwirrt auf. »Zeigt mal her.«
Niwat gibt sie ihr. Kanya schaut sie durch. Allem Anschein nach Aufnahmen von Verdächtigen, an denen Jaidee interessiert war. Auf vielen ist Akkarat zu sehen. Farang. Viele Fotos von Farang. Fotos von lächelnden Männern und Frauen, die den Minister umkreisen
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