Biokrieg - Bacigalupi, P: Biokrieg - The Windup Girl
und winkt Anderson aufmunternd zu.
Anderson beißt sich auf die Unterlippe und nimmt Anlauf. Bei der Landung klappern ihm die Zähne. Bis er aufgestanden ist, verschwindet Carlyle bereits über dem Rand des Daches und klettert die Leiter hinunter. Anderson folgt ihm, wobei er sein linkes Knie schont, das er sich zerschrammt hat. Carlyle schaut sich bereits suchend um, als Anderson neben ihm landet.
»In dieser Richtung liegt die Thanon Phosri, und da warten unsere Freunde auf uns«, sagt er. »Das ist keine gute Idee.«
»Hock Seng leidet an Verfolgungswahn«, entgegnet Anderson. »Er hat bestimmt irgendwo einen Fluchtweg ausgespäht. Und der führt ganz sicher nicht auf die Hauptstraße.« Er geht in die andere Richtung. Fast sofort sieht er einen Spalt zwischen zwei Fabrikmauern.
Carlyle schüttelt voller Bewunderung den Kopf. »Nicht übel.« Sie quetschen sich in den schmalen Durchgang und folgen ihm mehr als einhundert Meter weit, bis sie vor einer rostigen Blechtür stehen. Als sie diese beiseiteschieben, blickt ein Großmütterchen von ihrer Wäsche auf. Sie stehen in einem winzigen Hinterhof. Überall hängen Kleider an Leinen, und das Sonnenlicht, das durch den feuchten Stoff fällt, bildet einen Regenbogen. Die alte Frau bedeutet ihnen mit einer Handbewegung weiterzugehen.
Kurz darauf stehen sie in einer kleinen Soi, die wiederum in
eine Folge labyrinthischer Gassen übergeht, die sich durch einen behelfsmäßigen Slum winden. Hier leben die Kulis, die an den Schleusen arbeiten und Güter von den Fabriken zum Meer befördern. In den engen Gassen kauern die Arbeiter über Nudeln und gebratenem Fisch. WeatherAll-Hütten. Schweiß und das Halbdunkel überhängender Dächer. Der Qualm von gebratenem Chili brennt ihnen im Hals, und hustend halten sie sich die Hände vor den Mund, während sie sich durch die entsetzliche Hitze kämpfen.
»Wo zum Teufel sind wir?«, murmelt Carlyle. »Ich hab völlig die Orientierung verloren.«
»Spielt das eine Rolle?«
Sie bahnen sich einen Weg vorbei an Hunden, die wie betäubt in der Sonne liegen, an Cheshire, die auf Abfallhaufen hocken. Schweiß läuft Anderson über das Gesicht. Der leichte Rausch, den er sich im Sir Francis angetrunken hat, ist längst verflogen. Dunkle Gassen und schmale Soi winden sich zwischen den Hütten hindurch. Sie müssen sich an Fahrrädern vorbeiquetschen, an Stapeln mit Altmetall und Kokosnussplanen.
Vor ihnen öffnet sich ein Durchgang. Sie stolpern in das diamantene Sonnenlicht hinaus. Anderson atmet tief durch – die Luft ist hier vergleichsweise frisch. Erst jetzt wird ihm bewusst, wie sehr ihn die Enge zwischen den Hütten bedrückt hat. Das hier ist zwar noch keine breite Straße, aber es herrscht immerhin ein gewisser Verkehr. »Das kommt mir bekannt vor«, sagt Carlyle. »Hier in der Nähe ist irgendwo eine Kaffeebude, wo einer meiner Leute gerne hingeht.«
»Wenigstens hat es hier keine Weißhemden.«
»Ich muss zurück ins Victory«, fährt Carlyle fort. »Ich habe dort Geld im Tresor.«
»Wie viel ist Ihr Kopf wert?«
Carlyle zieht eine Grimasse. »Hm. Vielleicht haben Sie
Recht. Aber ich muss wenigstens irgendwie Verbindung zu Akkarat aufnehmen. Und herausfinden, was los ist. Damit wir überlegen können, was wir als Nächstes tun sollen.«
»Hock Seng und Lao Gu sind beide untergetaucht«, entgegnet Anderson. »Für den Augenblick sollten wir dem Beispiel der Yellow Cards folgen. Wir können eine Rikscha zum Sukhumvit- Khlong nehmen und von dort ein Boot zu meiner Wohnung. So halten wir uns von den Industriegebieten fern. Und von diesen ganzen verfluchten Weißhemden.«
Er winkt eine Rikscha heran und macht sich nicht einmal die Mühe, um den Fahrpreis zu feilschen, als er und Carlyle einsteigen.
Anderson entspannt sich allmählich – sie sind den Weißhemden entkommen. Fast schämt er sich für seine Angst. Vielleicht wären sie einfach nur die Straße entlangmarschiert und hätten ihn in Ruhe gelassen. Vielleicht sind sie völlig grundlos über die Dächer geflüchtet. Vielleicht … Frustriert schüttelt er den Kopf. Es fehlt ihnen einfach an Informationen.
Hock Seng hat nicht abgewartet. Er hat sich einfach das Geld geschnappt und ist davongerannt. Bei der Vorstellung, wie sein Assistent über die Gasse springt, muss er lachen.
»Was ist denn da so komisch?«
»Ach, nur Hock Seng. Er hat alles genau geplant. Bis in die kleinste Einzelheit. Kaum gibt es Schwierigkeiten – wusch! Schon verschwindet er durchs
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