Biokrieg - Bacigalupi, P: Biokrieg - The Windup Girl
ein Rätsel – wer hat ihm solche Gewalt angetan? Die gekräuselten Narben auf seiner Brust stammen vielleicht von einer Federpistole. Die auf seiner Schulter vielleicht von einer Machete. Die auf seinem Rücken mit großer Wahrscheinlichkeit von Peitschenhieben. Sicher ist sie sich nur bei der Narbe an seinem Hals – sie hat er sich bestimmt in der Fabrik zugezogen.
Er streckt die Hand aus und berührt sie sanft. »Was ist los?«
Emiko rollt von ihm weg. Sie ist so verlegen, dass sie kaum ein Wort herausbringt. »Die Weißhemden … Sie werden mich nie aus der Stadt lassen. Und jetzt hat Raleigh-san noch mehr Bestechungsgelder aufbringen müssen, um mich zu behalten. Er wird mich niemals fortlassen.«
Anderson-sama erwidert nichts. Sie kann seinen Atem hören, der langsam und regelmäßig ist, aber sonst nichts. Sie schämt sich so sehr.
Dummes kleines Aufziehmädchen – was hast du auch für Erwartungen? Sei dankbar für das, was er zu geben bereit ist.
Das Schweigen nimmt kein Ende. Schließlich fragt Anderson-sama: »Bist du sicher, dass Raleigh nicht mit sich reden lässt? Schließlich ist er Geschäftsmann.«
Emiko lauscht auf seinen Atem. Will er sie freikaufen? Wäre er ein Japaner, hätte sie das so verstanden – als sorgfältig
verklausulierten Vorschlag. Aber bei Anderson-sama lässt sich das nur schwer sagen.
»Ich weiß es nicht. Raleigh-san hängt am Geld. Aber ich glaube, dass er mich auch gerne leiden sieht.«
Sie wartet angespannt auf irgendeinen Hinweis darauf, was er denkt. Anderson-sama verlangt keine weiteren Informationen von ihr. Hält alles in der Schwebe. Seinen Körper kann sie jedoch spüren, ganz nahe, die Hitze, die ihre Haut abstrahlt. Hört er noch zu? Wäre er ein zivilisierter Mann, würde sie sein Schweigen als Schlag ins Gesicht deuten. Aber Gaijin sind nicht so subtil.
Emiko macht sich auf alles gefasst. Nur mit größter Mühe gelingt es ihr, Konditionierung und genetischen Imperativ zu überwinden. Sie muss darum kämpfen, sich nicht wie ein Hund ängstlich zu ducken. Aber sie versucht es, auch wenn es ihr fast die Kehle zuschnürt.
»Im Moment lebe ich in der Bar. Raleigh-san bezahlt große Summen dafür, um sich die Weißhemden vom Leib zu halten – das Dreifache wie sonst. Das Geld geht an andere Bars und an die Weißhemden selbst, sonst könnte ich nicht dort bleiben. Ich weiß nicht, wie lange das noch gutgeht. Meine Nische verschwindet zunehmend, glaube ich.«
»Hast du …« Anderson-sama kommt ins Stocken, verstummt. Dann sagt er: »Du könntest hier wohnen.«
Emiko Herz setzt aus. »Raleigh-san würde mir bestimmt folgen.«
»Es gibt Mittel und Wege, mit Leuten wie Raleigh fertigzuwerden. «
»Sie könnten mich von ihm freikaufen?«
»Ich bezweifle, dass mein Geld dafür reicht.«
Emiko spürt, wie die Verzweiflung sie zu überwältigen droht.
»Solange die Lage so angespannt ist, kann ich ihn nicht
provozieren, indem ich dich ihm einfach wegnehme. Nicht, solange er mir Weißhemden auf den Hals hetzen kann. Das wäre zu riskant. Aber ich glaube, dass ich wenigstens dafür sorgen kann, dass du hier schläfst. Vielleicht wäre es Raleigh sogar recht, dass du nicht mehr so exponiert bist.«
»Aber würde das nicht Ihnen Probleme bereiten? Die Weißhemden mögen keine Farang. Sie sind auch so schon in einer heiklen Lage.« Hilf mir, von hier zu fliehen. Hilf mir, das Dorf der Neuen Menschen zu finden. Hilf mir, bitte. »Wenn ich Raleigh-san das Geld zurückzahle … könnte ich nach Norden gehen.«
Anderson-sama zieht sanft an ihrer Schulter. Emiko dreht sich zögerlich zu ihm um. »Du gibst dich mit so wenig zufrieden«, sagt er. Seine Hand streicht ihr über den Bauch. Beiläufig. Versonnen. »Gut möglich, dass sich bald einiges verändert. Vielleicht sogar für die Aufziehmenschen.« Er schenkt ihr ein verschwörerisches Lächeln. »Die Weißhemden und ihre Regeln wird es nicht immer geben.«
Sie fleht um ihr Leben, und er gibt sich Hirngespinsten hin.
Emiko versucht, ihre Enttäuschung zu verbergen. Du solltest nicht zu viel verlangen, sondern für das dankbar sein, was du hast. Aber sie kann verhindern, dass ihre Stimme verbittert klingt. »Ich bin ein Aufziehmädchen. Nichts wird sich ändern. Uns wird man immer verachten.«
Er lacht und zieht sie an sich. »Sei dir dessen nicht so sicher. « Seine Lippen streifen ihr Ohr, und er flüstert: »Wenn du zu dieser Bakeneko, eurer Göttin der Cheshire, betest, kann ich dir vielleicht mehr bieten
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