Biokrieg - Bacigalupi, P: Biokrieg - The Windup Girl
Seng erinnert sich daran, wie er vor einigen Jahren genauso dastand. An dem Tag, an dem die Säuberungen der Grünen Brigaden begannen, lag der Geruch des Meeres und des Monsuns in der Luft. Und die Menschen reckten damals ebenfalls wie die Tauben ihre Köpfe und verdrehten sich die Hälse nach dem Geräusch des Massakers – und mit einem Mal begriffen sie, dass sie in großer Gefahr schwebten.
Vor ihnen ist das unverwechselbare Knattern von Scheibenmunition zu hören. Hock Seng gibt Lachendem Chan ein Zeichen, und sie schlagen einen anderen Weg ein. Für solche Dummheiten ist er zu alt. Er sollte eigentlich mit einer Opiumpfeife in der Hand auf einer Couch liegen, während eine hübsche fünfte Frau ihm die Füße massiert. Die Leute hinter ihnen stehen immer noch einfach so da und starren in die Richtung, aus der die Kampfgeräusche kommen. Die Thai wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. Noch nicht. Sie haben noch nie ein richtiges Blutbad erlebt. Ihre Reflexe sind verkehrt. Hock Seng betritt ein verlassenes Gebäude.
»Wo willst du hin?«, fragt ihn Lachender Chan.
»Ich möchte etwas sehen können. Ich muss wissen, was gerade passiert.«
Er nimmt die Treppe nach oben. Ein Stockwerk, zwei Stockwerke, drei, vier. Er ringt um Atem. Fünf, sechs.
Dann betritt er einen Flur. Die Türen sind geborsten, die Hitze ist schier unerträglich, und es stinkt nach Exkrementen. Eine weitere Explosion in der Ferne.
Durch ein offenes Fenster kann man Leuchtspuren erkennen, die sich wie Bögen über den allmählich dunkel werdenden Himmel spannen. Ein lauter Knall. Das Rattern der Handfeuerwaffen unten auf der Straße erinnert an Neujahrsraketen.
Rauchsäulen steigen an zahlreichen verschiedenen Punkten in der Stadt auf. Sich windende Nagas, die sich schwarz vor der versinkenden Sonne abzeichnen. Die Ankerplätze, die Schleusen, das Industriegebiet … Das Umweltministerium.
Lachender Chan packt Hock Seng an der Schulter und deutet auf etwas.
Hock Seng zieht scharf die Luft ein. Der Yaowarat-Slum steht in Flammen. WeatherAll-Hütten verschmelzen zu einer immer weiter anwachsenden Feuerwand. »Wode tian.« Es ist kaum mehr als ein Flüstern aus Lachender Chans Mund. »Dorthin werden wir nicht zurückkehren.«
Hock Seng starrt entgeistert auf den brennenden Slum, der sein Zuhause war. All das Bargeld und die Edelsteine, die er gehortet hat, gehen gerade in Rauch auf. Das Schicksal ist unberechenbar. Er lacht kraftlos. »Und du hast gedacht, ich sei nicht vom Glück gesegnet. Wenn wir dort geblieben wären, hätte es uns auch erwischt – wie gegrillte Schweine.«
Lachender Chan beehrt ihn mit einem spöttischen Wai. »Ich werde dem Prinzipal der Drei Reichtümer in die neun Höllen folgen.« Er zögert. »Aber was sollen wir jetzt tun?«
Hock Seng zeigt hinaus. »Wir folgen Thanon Rama XII., und dann …«
Er hat die Rakete nicht kommen sehen. Sie ist zu schnell, um vom menschlichen Auge erfasst zu werden. Ein Aufziehsoldat hätte sich vielleicht noch in Sicherheit bringen können, doch er und Lachender Chan werden von den Detonationswellen umgerissen. Ein Gebäude ganz in der Nähe stürzt ein.
»Lass gut sein!« Lachender Chan packt Hock Seng und zieht ihn nach hinten ins Treppenhaus in Sicherheit. »Wir werden das schon hinbekommen. Für die schöne Aussicht werde ich aber nicht mein Leben riskieren.«
Noch vorsichtiger schleichen sie durch die halbdunklen Straßen und arbeiten sich so bis zum Industriegebiet vor. Da die Thai inzwischen auch begriffen haben, dass es außerhalb ihrer Häuser nicht länger sicher ist, begegnen sie immer weniger Menschen.
»Was ist das?«, fragt Lachender Chan.
Hock Seng blinzelt ins Dämmerlicht. Drei Männer hocken um ein Kurbelradio herum. Einer von ihnen hält die Antenne hoch. Hock Seng verlangsamt seinen Lauf und signalisiert auch Lachendem Chan, auf die andere Straßenseite zu wechseln.
»Was gibt’s Neues?«, fragt Hock Seng keuchend.
»Habt ihr den Raketeneinschlag mitbekommen?«, fragt einer der Männer zurück. Er blickt auf. »Yellow Cards«, murmelt er dann. Seine Begleiter schauen erst auf die Machete, die Lachender Chan bei sich trägt, dann werfen sie sich untereinander Blicke zu, lächeln nervös und beginnen zurückzuweichen.
Hock Seng deutet ein unbeholfenes Wai an. »Wir möchten nur erfahren, ob es Neuigkeiten gibt.«
Einer der Männer spuckt einen Strahl Betelnussspeichel aus. Sein Blick ist immer noch wachsam, doch er antwortet: »Das war ein
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