Biokrieg - Bacigalupi, P: Biokrieg - The Windup Girl
Überall um ihn herum vernimmt er Gestöhne und Schluchzen.
»Au – Chan?«, ruft er.
Niemand antwortet.
Hock Seng gräbt sich aus dem Leichenberg hinaus. Er ist nicht der Einzige, der überlebt hat. Die Leute helfen den Verletzten.
Hock Seng kann kaum noch aufrecht stehen. Sein Bein besteht nur noch aus Schmerz. Er ist blutüberströmt. Er sucht den Menschenberg nach Lachendem Chan ab, doch selbst falls er darin versteckt sein sollte, so ist es doch zu dunkel, und überall ist viel zu viel Blut, und es sind auch einfach zu viele Leichen, um ihn ausfindig machen zu können.
Hock Seng ruft noch einmal Chans Namen und späht dabei in das Menschenknäuel hinein. Weiter die Straße hinunter verströmt eine geborstene Methanlampe grelles Licht; Gas strömt aus dem Laternenpfahl himmelwärts. Hock Seng geht davon aus, dass die Lampe jede Sekunde eine Explosion auslösen kann, die sich dann auf sämtliche Methanröhren der Stadt ausweiten würde, kann aber nicht genügend Energie aufbringen, um sich weiter darum zu kümmern.
Überall liegen Leichen. Die meisten scheinen Studenten zu sein. Dumme Kinder, nichts weiter. Einen Kampf gegen Megodonten zu wagen! Narren. Er drängt die Erinnerungen an seine eigenen Kinder zurück – tot, aufgeschichtet. Das Malaiische Massaker auf einen thailändischen Bürgersteig übertragen. Mühsam entwindet er der Hand eines toten Weißhemdes eine Spannfederpistole und überprüft das Magazin. Nur noch wenige Scheiben, aber immerhin. Er zieht die Feder auf, für mehr Leistung. Steckt sie sich in die Tasche. Kinder, die Krieg spielen. Kinder, die den Tod nicht verdient haben, aber zum Überleben zu töricht sind.
In der Ferne tobt der Kampf weiter. Er ist zu anderen Straßen und anderen Opfern weitergezogen. Überall liegen tote Menschen. Hock Seng erreicht eine Kreuzung und hinkt hinüber. Er ist viel zu müde, um sich über das Risiko Gedanken zu machen, dass er damit eingeht. Auf der anderen Straßenseite ist ein Mann an der Hauswand zusammengesunken; neben ihm liegt noch sein Fahrrad. Sein Schoß ist blutgetränkt.
Hock Seng hebt das Fahrrad auf.
»Das gehört mir«, sagt der Mann.
Hock Seng zögert und mustert den Mann. Er kann kaum noch die Augen offen halten, und trotzdem klammert er sich weiter an die Normalität, an die Vorstellung, ein Fahrrad zu besitzen. Hock Seng wendet sich ab und schiebt das Fahrrad vom Gehweg auf die Straße. Der Mann ruft ihm hinterher: »Das gehört mir!«, aber er steht nicht auf, und er kann Hock Seng nicht davon abhalten, ein Bein über den Rahmen zu schwingen und in die Pedale zu treten.
Und falls der Mann sich ein weiteres Mal beschwert, hört Hock Seng es nicht mehr.
41
»Ich bin davon ausgegangen, dass wir erst in zwei Wochen losschlagen«, wendet Anderson ein. »Wir sind noch nicht einsatzbereit.«
»Die Pläne müssen geändert werden. Ihre Waffenlieferungen und auch die finanzielle Unterstützung sind immer noch recht nützlich.« Akkarat zuckt mit den Achseln. »Allerdings würde es den Wechsel sicher nicht unbedingt einfacher gestalten, wenn Farang -Sturmtruppen hier in der Stadt aufmarschieren würden. Womöglich ist dieser vorgezogene Marschplan sogar am besten.«
Explosionen donnern über die Stadt. Ein Feuer ist ausgebrochen, und der Schein von hellgrünem Methan wechselt langsam ins Gelbliche, als es auf ausgetrockneten Bambus und andere Materialien stößt. Akkarat betrachtet die Flammen und winkt dann den Mann mit dem Radiofon zu sich. Während Akkarat leise in das Gerät spricht und Feuerwehrtrupps
aussendet, kurbelt der Gefreite emsig weiter. Akkarat blickt zu Anderson hinüber und erklärt: »Wenn das Feuer außer Kontrolle gerät, haben wir bald keine Stadt mehr, die es zu verteidigen gilt.«
Anderson sieht sich die Ausbreitung des Feuers an – der helle Widerschein auf dem Chedi des Palastes, dem Tempel des Smaragd-Buddhas. »Das Feuer wütet in der Nähe der Stadtsäule.«
»Khap. Und wir können nicht zulassen, dass die Säule verbrennt. Es wäre ein schlechtes Omen für eine neue Regierung, die stark und fortschrittlich erscheinen sollte.«
Anderson lehnt sich über die Balkonbrüstung. Seine geschiente Hand schmerzt immer noch, aber nachdem der Militärarzt den Knochen gerichtet hat, fühlt es sich wesentlich besser an als noch vor ein paar Stunden. Außerdem ist er in einen angenehmen Morphinschleier gehüllt, der den Schmerz in Schach hält.
Ein weiterer Feuerbogen zerteilt den Himmel – eine Rakete, die
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