Bis ans Ende der Welt
die kleinen Staubwölken an seinen Fersen hochsteigen sehen. Ich habe ihn nie mehr getroffen, was mich überhaupt nicht überraschte. „Speedy Conzales, die schnellste Maus von Mexiko, war hier. Hat man ihn erkannt, ist er längst wieder weg!“ erklärte ich zu Michèle. Denn bei ihrer Jugend hat sie die amerikanische Zeichentrickserie vermutlich nicht gesehen, und über die Zwänge eines alternden Mannes, der es sich wohl vor dem Lebensabstieg noch einmal so richtig beweisen wollte, keine Ahnung haben konnte. Sie schien ihm aber nicht allzu böse sein, daß er uns alleine ließ. So trödelten wir plaudernd einfach dahin, und ich versuchte nicht auf ihr T-Shirt mit den an- und abschwellenden Brustwarzen zu starren, was immer schwieriger wurde.
Diese Etappe wäre landschaftlich eigentlich sehr schön gewesen. Vom Stadtzentrum stieg man durch stille Straßen auf eine Anhöhe und gelangte in ein flaches Tal mit einem stillen, romantischen See. Dahinter aber wühlte sich eine riesige Autobahnbaustelle durch das Tal, die ein weiteres Passieren unmöglich machte. Man hatte auf eine dicht befahrene Straße auszuweichen. Hier verirrten sich Les Fous , die Frauenpilgergruppe und vermutlich alle anderen auch, und das großkotzig aufgewühlte Tal machte traurig. Nach über zweitausend Kilometer zu Fuß hatte ich für die Belange der Verkehrsplaner nichts mehr übrig. Von mir aus sollten alle Menschen zu Fuß gehen. Mit dem Pilgerstab zwang ich die nicht wenig gestreßten Autofahrer, uns ausreichend Abstand zu gewähren. Alle folgten dem Wink ohne sichtbar viel zu schimpfen, obwohl ich mir auch Sorgen machte, sie könnten wegen Michèles Busen und so zu sehr abgelenkt werden, daß sie uns einfach überrennen. Aber so etwas hätte der Herr nie zugelassen, zumal er gerade wohl ziemlich viel Spaß an meinen Nöten hatte und sich darüber hinaus generell für alle jungen, hübschen Mädchen auf dem Camino einsetzte und sie froh zu machen versuchte, wo es nur ging. Was bestimmt nicht so einfach war, weil junge Mädchen oft launisch sind. Aber dem Herrn ist nichts unmöglich. So passierten wir am Ende diese häßliche Ecke und gelangten wieder in die freie Landschaft mit Maisfeldern, Obstgärten und Platanenalleen, wo wir den Streß bald vergaßen. Wir kamen stetig, wenn auch nicht zu schnell voran. Alle Menschen, die wir trafen, waren nett zu uns, die Hunde versteckten ihr Gesicht dösend in den Pfoten, und alles lief bestens. Irgendwann um die Mittagsstunde ließen wir uns mitten auf dem schön mit Moos bewachsenen Wanderweg nieder, um zu picknicken, als der Sklave der Frauenpilgergruppe um die Ecke stürmte, voller Elan und guter Laune, mit der dringenden Frage, ob wir die „Mädels“ schon gesehen hätten, sie hätten sich wieder einmal verirrt, wären jedoch, dem Mobiltelefon und der GPS-Navigation sei Dank, schon wieder auf dem richtigen Weg und nur geringfügig weit von hier entfernt. Wir hätten sie eigentlich sehen müssen. Und schon waren auch die ersten Geräusche einer herankommenden Truppe zu vernehmen, da ein hell klingender Schlag der stahlbewehrten Stockkoppe gegen den Stein, da ein spitzer Ausruf und Lachen, und bald näherten sich schon die Frauen, laut schwatzend und schwere Stöcke schwingend. Beim Anblick von Michèle und mir auf dem Mooskissen rümpften sie ein wenig die Nase, so daß sie sich über die glückliche Vereinigung mit ihrem Führer und Retter gar nicht so richtig freuen konnten. Das hat sogar Michèle bemerkt und machte dazu eine passende Bemerkung. Später glaubte ich einmal aus der Frauengruppe das Wort gehört zu haben, solche Leute (wie mich, versteht sich) hätte man besser vom Camino ausschließen sollen, aber man könne es (leider) niemanden direkt verbieten. Vielleicht war es aber nur mein schlechtes Gewissen, daß mich betroffen machte. Bei der Frauengruppe war ich nun jedenfalls ganz unten durch, das stand fest, und da ich von ihnen in der kurzen Zeit, die uns noch gemeinsam blieb, immer wieder mit noch mehr jungen hübschen Mädchen gesehen wurde, konnte sich mein Ruf nicht mehr bessern. Wer weiß, wo ich als abschreckendes Beispiel noch herhalten muß.
Irgendwo auf diesem Tagesmarsch passierten wir die Grenze nach Baskenland. Adieu Gascogne! Plötzlich ging es wieder steil auf und nieder. Es waren zwar noch keine richtigen Berge, statt dessen recht tiefe Täler und Einschnitte, die man auf der einen Seite hinab und auf der anderen wieder hinauf steigen mußte. Zahlreiche
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