Bis ans Ende der Welt
Ferienradreise. Damals waren alle Gasthäuser voll bierseliger Menschen, die tranken, rauchten und ziemlich laut über Gott, die Welt und ihren Alltag schwatzten. Um die Wahrheit zu sagen, waren die Kneipen das Beste dieser Reise. Viel besser als die sagenhaften Schlösser des bayerischen Königs Ludwig. Heute darf man als Autofahrer nichts trinken, das Rauchen gilt als asozial oder gar kriminell, und die Preise liegen im Himmel. Kein Wunder, wenn die Wirtschaft leer bleibt. Statt dessen hockt das Publikum zu Hause vor dem Fernsehen und läßt sich das Gehirn waschen. Das ist dem Staat auch lieber so. Ein Wort gibt das andere. Es sind schon Revolutionen aus leerem Wirtshausgerede entstanden.
Dazwischen rief Standa an. Er ist der Sohn meiner in Ostböhmen lebenden Cousine. Er hat eine Transportfirma, gelegentlich verleiht er Geld auf Wucher und ist ein Geizkragen. Er möchte morgen in München von einem Armenier ein Auto kaufen, ich solle dolmetschen. Verfluchtes Mobiltelefon. Ich nahm es mit, weil ich dachte, es wäre nützlich. Statt dessen bewarfen mich Leute durch das Gerät mit ihrem Mist. Ich erklärte ihm die Lage. Ich sei jetzt ein hauptberuflicher Jakobspilger, und Pilger verhandelten nicht um Autos. Schon gar nicht mit irgendwelchen armenischen Gaunern. Aber er ließ nicht nach. Er werde mich abholen und wieder vor Ort abliefern, Punkt sieben Uhr, und nach München sei es doch nur ein Katzensprung. Was macht man mit Verwandten? Gibt es Abwehrmittel? Außerdem tauchte plötzlich Frau Butz auf und drängte zum Aufbruch. Wohl in einem Anfall geistiger Umnachtung gab ich nach und tröstete mich mit der Ausrede, unterwegs irgendwo Sandalen aufzutreiben. Denn in den Wanderschuhen konnte ich vorläufig unmöglich weitergehen. Die Ferse wandelte sich nach und nach zu einem blutigen Hacksteak. An diesem Abend saß ich noch lange im Wohnzimmer von Frau Butz, bewunderte die Panoramaaussicht und bangte um die Fortsetzung der Pilgerreise. Frau Butz nutzte diese Verwirrung, um ihre Schwester, den verstorbnen Mann und diverse andere Personen durch den Wolf zu drehen und mich nach Privatem auszufragen. Ich konnte ja noch nicht weg, auch wenn ich wollte, mußte noch auf die Wäsche warten. Sie ließ mich nämlich ihre Waschmaschine benützen. Das war einerseits sehr freundlich, ich sparte mir so die lästige Handwäsche. Allerdings schmiß sie gleich irgendwelche unglaublich dreckige rohe Lumpen hinzu. Damit die Maschine nicht so leer sei, erklärte sie. Die schöne teuere Funktionswäsche, die ich mir extra für diese Reise angeschafft habe, sah danach nicht mehr so neu aus. Leider.
Bernbeuern, km 274
Ich erwachte am nächsten Morgen um sechs Uhr von einem dicken Regentropfen, der voll und prall auf das Dachfenster klatschte. Kurz später goß es draußen aus allen Kannen. Um sieben Uhr saß ich wieder im Wohnzimmer von Frau Butz. Der Frühstückskaffee war bemerkenswert dünn, die drei sehr dünne Brotscheiben und das Butter genau abgezählt. Dazu viel Selbstlob über den „guten Kaffee“. Standa rief an, er sei bereits im Dorf und suche die Adresse. Da ich keine Lust hatte, die zunehmende Neugier der Hauswirtin mit der komplizierten Philosophie der Verwandtschaft zu füttern, erzählte ich ihr, ein Verwandter werde mich abholen, um meine kranke Mutter zu besuchen. Das wäre vielleicht gar nicht verkehrt. Die Ärzte haben sie aus dem Krankenhaus entlassen, wollten nicht operieren. Wegen Herzprobleme. Doch ohne die Bypaßoperation würde sie das Bein verlieren. Am Telefon weinte sie und war kaum zu trösten. Standa rief erneut an und ließ sich die Örtlichkeit genau beschreiben. Mir kam eine Ahnung. Offenbar führte ihn sein GPS zu einem anderen Ort gleichen Namens. Peinlich langsam verging eine halbe Stunde, und Frau Butz wurde zunehmend nervös.
„Ich gehe nach oben packen,“ versuchte ich mich aus der Schlinge zu ziehen. Aber es war bereits zu spät.
„Das kann ich mir denken, denn Sie sind ein pingeliger Mensch!“ eröffnete sie die Partie. Es ließ mich da noch kalt, da ich noch auf die Toilette mußte. Aber das behielt ich lieber für mich. Wer weiß, was daraus Frau Butz noch psychologisch gemacht hätte. Jetzt erinnerte sie mich an das bigotte Fräulein Helene von Wilhelm Busch.
Zwei weitere Stunden vergingen mit Warten und unzähligen weiteren Anrufen. Frau Butz hatte nun endgültig die Nase voll. Sie lachte hysterisch auf, wenn ich versuchte, Standa den Weg zu beschreiben. „So fährt man doch nicht.
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