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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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Über Füssen, nicht über Kempten muß er. Wie kann man nur so dumm und weltfremd sein. Und wie sie buchstabieren, Sie können ja gar nicht sprechen. Ich habe genau gehört, wie Sie Steingarten sagen. Das kenne ich nämlich, das liegt ganz anderswo. Da sieht man, daß Sie kein logisches Denken haben! Hoffentlich werden Sie sich bei dem Menschen entschuldigen, ihn so in die Irre geleitet zu haben.“
    Wie gerne hätte ich doch draußen gewartet. Aber draußen regnete es wie wild. Mit dem Hinweis auf einen Fuchs, der eben draußen über die Wiese lief, versuchte ich abzulenken. Dann kam noch einer. Völlig furchtlos waren sie, wie anderswo vielleicht die Katzen. Frau Butz dankte, holte ein Fernglas, beobachtete genau und stellte das Glas zurück auf seinen Platz am Fenster. Dann sagte sie ganz ruhig: „Dieser Depp, der Nachbar da unten, irgendein Beamter aus München oder so was, gestern sprengte er noch stundenlang den Rasen. Jeder Bauer weiß doch, daß es regnen wird.“ Und um wieder zum Thema zu kommen, setzte sie fort: „Mit so einem unpraktischen Menschen wie Sie, so ganz pingelig, könnte ich nicht leben. Kein Wunder, daß Ihnen die Frau davon ist!“ Die Stimme überschlug es ihr voll aufrechter Empörung. Unglücklicherweise erzählte ich es gestern, als sie klagte, wie ihr Ehemann sie schwanger sitzen ließ. Ich dachte, es werde sie trösten. Geteiltes Leid ein halbes Leid.
    Das war keine gute Idee. Und ich hätte auch nichts von Segeln und Motorradfahren erzählen dürfen. „Zum Motorradfahren braucht man Geschicklichkeit!“ schrie sie mich jetzt an. „Und Sie sind doch ganz link! So etwas von umständlich. Ich dagegen bin praktisch veranlagt. Nicht wie Sie! Sie haben doch gestern nicht einmal die Waschmaschine ausschalten können!“ Ich versuche mich herauszuwinden mit Hinweis, ich hätte nichts Falsches tun wollen. „Ha! Lächerlich!“ dröhnte sie unverzagt.
    „Und Segeln?!“ Die aufrichtige Empörung sprach aus ihr. „Segeln ist unmoralisch! Wo so viele Leute auf der Welt hungern müssen.“ Ich tat bescheiden, es koste doch nicht viel, wenn man dabei selbst Hand anlegt. „Also, ein Bekannter meines Sohnes,“ holte sie nun ganz weit aus, dabei wohl meine geringen geistigen Fähigkeiten in Betracht ziehend, „der ist ja überall beliebt, ich meine meinen Sohn, auch bei den Kindern, der lädt ihn immer zum Segeln ein: ‚Komm Hansi, kommt doch mit!’ Also, der erzählte ihm letztes Jahr, er kann’s sich gar nicht mehr leisten!“
    Daraufhin wurde ich nun doch schweigsamer, zeitweilig versuchte ich die Rede auf die drei Söhne und die Schwester von Frau Butz zu bringen. Die Überlegung, sie könnte durch Selbstlob milder werden, ging aber nicht auf. „Ich habe meine Kinder gut erzogen. Aber streng!“ Das war fast unnötig zu betonen. Ich glaubte es auch so. „Einmal waren wir beim Essen, und der Mittlere wollte aufstehen, er müsse bieseln. ‚Nichts da,’ sagte ich zu ihm, ,hier wird sitzen geblieben!’ Und so war’s auch. Dann, auf dem Rückweg, hielt ich im Wald an. ‚Du wolltest doch bieseln,’ sagte ich zu ihm, ‚und ich gehe mit, um zu sehen, wie dein Strahl ist!’ Und der war gerade nur ein bißchen was, und dann sagte ich zu ihm: ‚Nie wieder sage ich’s dir, nie wieder!’
    Ich biß die Zähne zusammen und litt. Draußen tobte der wahre Wolkenbruch. Sturmböen fuhren rasend durch die Wiese. Ich saß im warmen Wohnzimmer und war sehr, sehr froh, daß meine Mutter meinen Strahl in Ruhe ließ. Ich hätte auch das „kaum bißchen“ nicht herausgebracht. Also fragte ich Frau Butz, wie lange es ihre Söhne denn bei ihr ausgehalten hätten. „Bis sie dreißig wurden! Nicht wie bei dieser Nachbarin da unten, die neulich kam, ihr Kind wolle bei ihr nicht mehr bleiben. Sie ist wie Sie, ohne Logik, ein Ich-Mensch, der nur an sich denkt!“ Frau Butz machte dabei eine umfassend spreizende Bewegung mit den Ellenbogen. „Es geschieht ihr recht, als Kind würde ich auch von ihr weglaufen. So wie Ihre Frau! Mit so einem Menschen, so pingelig, so egoistisch, kann man doch nicht leben. Das ist ja geradezu widerlich...“
    Das Telefon läutete. Standa ist endlich angekommen. Das nutzte ich zur Flucht. Sie konnte freilich nur hastig sein. Frau Butz, ruhig in ihrem Sessel sitzend, ermahnte mich, ihren in der Ecke stehenden Farn nicht durcheinander zu bringen: „Sie sind so unpraktisch. Außerdem haben Sie überhaupt nicht gefragt, ob es mir recht ist, so früh aufzustehen, um Ihnen

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