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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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der Weg zu schwer oder zu naß wurde, wechselte ich von Sandalen zu Bergschuhen und umgekehrt. Ich fühlte mich gar nicht so schlecht dabei. Ein im Wanderführer angekündigtes Pilgerpanorama prunkte irgendwo hinter den grauen Wolken. An den Zweigen hingen reichlich schwere Wassertropfen, die es auf mich abgesehen haben. Manchmal wich ich aus, manchmal ließ ich das kühle, reine Naß widerstandslos in den offenen Kragen laufen. Wie eine streichende Hand. Am Mittag saß ich auf einer Bank unten im Tal und biß energisch in die Wurstsemmel. Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben. [8] Da ging schellen Schrittes ein mit Muscheln behängtes Fräulein vorbei. Es war klar und deutlich, daß dies eine waschechte Jakobspilgerin ist. Immerhin war ich nun fast dreihundert Kilometer auf den Beinen. Und mag auch der Pförtner im Regensburger Priesterseminar gejubelt haben, an dem Tag, als ich kam, schon fünf Pilgerbücher gestempelt zu haben, ich fühlte mich als Pilger ziemlich einmalig und konkurrenzlos. Ingrid wollte allerdings nur bis Lindau gehen, irgendwann später dann den Rest. Sie arbeitete in einem Altersheim. Jetzt photographierte sie penibel genau jede Kirche, jedes Kreuz und jeden Friedhof, um sie den Alten später im Vortrag zeigen zu können. Wir gingen den Rest des Tages zusammen, und ich machte mit ihrer Digitalkamera auch ein paar Bilder von ihr, wo sie lachte und fast glücklich aussah. Es würde den alten Leuten mehr Freude machen als Friedhöfe, behauptete ich einfach. Der Herr, der wieder ein Stückchen mit ging, lächelte und sie auch, doch ganz frei fühlte sie sich wohl nicht. Sie gab mir merkwürdige homöopathische Kügelchen gegen meine Blasen. Nie zuvor hörte ich von so etwas. Man läßt sie unter der Zunge zergehen und marschiert sorglos. Am Abend schienen mir meine Blasen tatsächlich irgendwie kleiner. Wir trennten uns in Marktoberdorf. Sie hat im „Hirschen“ gebucht, ich ein Privatzimmer. Der Herr blieb schon vorher oben am Berg in einer herrlichen alten Lindenallee am Kreuz zurück.
    Also zog ich etwas lustlos weiter durch den Ort und fürchtete mich ein wenig vor muffigen Zimmern und keifenden Wirtinnen. Es zog sich hin. Erst verschwanden die mehrstöckigen Häuser, dann die einstöckigen, dann die Familienhäuser. Schließlich waren es lauter große Grundstücke am Hang mit vornehmen Villen darin, an denen man endlos laufen konnte. Überall hohe Hecken, um keinen Einblick zu gewähren. Logisch. Hier konnte unmöglich wer Zimmer vermieten. Hier wohnten betuchte Leute, hätten es auch gar nicht nötig, Zimmer zu vermieten. Ich habe mich wohl in der Adresse geirrt. Wäre ich doch nur mit zum „Hirschen“ gegangen, es lag auch ganz kommode unten in der Stadt. Und da kam der Regen wieder. Es tröpfelte schon in meine Sandalen, als ich an der gemauerten Pforte eines dezent in den Hang gebauten Hauses läutete. Von der Straße aus kaum zu sehen, doch der Vorgarten war tadellos. Eine vornehme Dame im Hausanzug öffnete sofort und bat mich jovial hinein. Noch traute ich der Sache nicht ganz. Das war augenfällig keine einfache Schlafgelegenheit. Dabei war meine Wahl pekuniär motiviert. Ich buchte stets das billigste Zimmer vor Ort. Daher auch meine Bedenken, die nach dem Betreten des Hausen auch nicht zerstreut wurden. Eine solide eichene Eingangstür führte in geräumige Halle, die sich offenbar über die ganze Breite und Höhe des Hauses erstreckte. Die holzgetafelten Wände bargen Regale alter Bücher in allen Weltsprachen, auf einem Lesepult lag aufgeschlagen eine uralte englische Bibel, daneben stand ein Globus von mindestens einem Meter Durchmesser. Überall lagen dicke Perserteppiche. Ich möchte nicht ausschließen, die eine oder andere Skulptur übersehen zu haben, denn die Dame führte mich ohne Umschweife über eine breite Treppe auf die Galerie hinauf und von dort in mein Zimmer. Das sah aus! In der Mitte prunkte ein als französisches Bett gedachtes Podest, das wie der Boden bis zur Kante mit dichtem Veloursteppich im dezenten Taubengrau verkleidet war. Der wiederum harmonierte im Ton perfekt mit den weißlackierten Einbauschränken und den weißen Porzellankacheln im angrenzenden Bad. Die Armaturen waren bestimmt nur vergoldet und die zwei Perser im Zimmer nur Brücken. Doch alles wie neu. Alt waren nur zwei holländische Meister in breiten Holzrahmen, zwei vergoldete Barockengel und ein Paar bequeme Biedermeiersessel. Die frischen Schnittblumen und die Schüssel mit

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