Bis ans Ende der Welt (German Edition)
nicht. Sie wollte den Ausweis für mich aufheben. Das fand ich wirklich rührend und fürsorglich. Über das Mobiltelefon kostete mich es auch noch Gebühren.
Steingaden, km 256
Am nächsten Morgen stand ich klamm und lahm in der Messe, doch immerhin guter Hoffnung. Es gab gutes Frühstück, und wie immer blieb noch genug übrig, um davon die Mittagsbrotzeit zu bereiten. Gut auch, daß Steingaden nicht b e sonders weit lag. Und der Weg führte heute direkt an der berühmten Wieskirche vorbei. Es ist Wallfahrtort und Touristenattraktion zugleich, ein Hauptwerk des Rokokos, ein Weltkulturerbe der UNESCO. Der Jakobsweg ist voll davon. J e denfalls steht da auf einer unscheinbaren Wiese eine riesige Barockkirche, an der in Bayern keiner vorbeigeht, sei es aus Glauben, sei es aus Neugier. Der Pi l ger am wenigsten. Den freut die stille Einkehr an diesem berühmten Ort noch mehr, wenn draußen Wind und Wetter herrschen.
Der gestrige Sturm machte nämlich ein Ende dem schönen, warmen Frühling s wetter. Zum Leid von Mensch und Tier. Auf einer Wiese brüllte ein ziemlich nasser Stier seinen Gram in die heile bayerische Welt hinaus. Es klang aggre s siv. Zwar war die Wiese gut eingezäumt, aber der Camino führte ausgerechnet da hindurch. Damit sich auch wirklich jeder fürchtet, hing am Eingangsgatter die eindringliche Warnung über die Bosheit und schlechte Manieren des Rin d viechs. Und ich hatte ausgerechnet einen knallroten Regenponcho an. Besorgt maß ich die zurückzulegende Distanz zum gegenüberliegenden Gatter und dann wieder zum Stier. Er war riesig und sah echt rabiat aus. Er schlug mit dem Schwanz um sich, daß es nur so pfiff und knallte, und brüllte, wie schon gesagt, aus allen Kräften. Ich überlegte. Sollte er von den verbalen Beleidigungen zum tätlichen Angriff übergehen, so hätte ich erst ab der Weghälfte eine gewisse Chance, noch den Ausgang zu erreichen. Die Blasen als Unsicherheitsfaktor gar nicht mitgerechnet. Es war um so absurder, als gleich hinter dem Gehege ein s o genannter Moorlehrwanderpfad begann, das ein jeder Tourist nach dem Ki r chenbesuch wohl sehen wollte. Schließlich schlich ich mich auf die Wiese und trödelte nicht, bis ich am anderen Ende das Tor passierte. Aber das Biest kü m merte es nicht im Geringsten. Stand nur da und brüllte. Vielleicht war es auch nur eine geschickte Inszenierung, um den Besuch vor Ort spannender zu m a chen. In Spanien erzählte mir später jemand, daß die Kampfstiere erst mit Hi e ben auf die rote Farbe abgerichtet werden müssen. Ich wollte es zwar nicht so einfach glauben, weil mir ständig jemand einen Bären anzubinden versucht, aber diese Bestie entsprach dem Erzählten dahingehend, daß es keinerlei Farbe n kenntnisse besaß. Auf dem Moorlehrpfad sicher angekommen, zog ich dann an einer Bank mit großem Genuß die Schuhe aus und ließ die Blasen ruhen. Ich dachte, hier wegen Stier und Wetter ungestört zu sein und mich bißchen gehen lassen zu können. Von wegen! Prompt marschierten die kirchenscheuen Pilg e rinnen vom Vortag munter schwatzend vorbei und wunderten sich laut, warum ich barfuß im Moor hocke. Ich glaube, sie gaben mir keine großen Chancen, bis nach Santiago zu kommen. Wohl hatte ich etwas Genugtuung, als ich die undi s ziplinierte Truppe später im Wald locker überholte. Doch den bronzenen Mönch, der sich in Steingaden vor dem Schlecker-Laden im Brunnen seine brennenden Füße kühlt, fand ich überhaupt nicht lustig.
Das Haus, in dem ich diese Nacht zu verbringen gedachte, lag als vorletztes im Dorf mitten im einem steilen Hohlweg. Nur hundert Meter davor ging noch ein gewaltiger Regensturz auf mich nieder. Als ob er darauf nur gewartet hätte. Den Eingang erreichte ich wie ein Schiffbrüchiger das rettende Ufer, was der Frau Butz, die hier herrschte und an Gestrandete Zimmer vermietete, richtig wohltat. Fürsorglich schleppte sie mich gleich ins Wohnzimmer und gab mir heißen Tee trinken. Nein, sie habe es nicht nötig, machte sie gleich klar. Nur aus Güte, und wegen der Unterhaltung freilich, biete sie das Zimmer an. Sie möchte den Pi l gern Gutes tun. Man kenne sie im Dorf darum und schicke die Leute her. Ob ich auch noch zur Messe in die Wieskirche möchte? Sie gehe jeden Tag. Sie hatte Verständnis dafür, daß ich gerade von dort komme. Aber im Hause sollte ich nicht alleine bleiben, ich könne ja irgendwo im Ort Essen gehen.
Was blieb mir denn übrig? Sie brachte mich mit dem Wagen zurück ins Dorf und
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