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Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Bis ans Ende der Welt (German Edition)

Titel: Bis ans Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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Frau! Mit so einem Menschen, so pingelig, so egoistisch, kann man doch nicht leben. Das ist ja geradezu widerlich...“
    Das Telefon läutete. Standa ist endlich angekommen. Das nutzte ich zur Flucht. Sie konnte freilich nur hastig sein. Frau Butz, ruhig in ihrem Sessel sitzend, e r mahnte mich, ihren in der Ecke stehenden Farn nicht durcheinander zu bringen: „Sie sind so unpraktisch. Außerdem haben Sie überhaupt nicht gefragt, ob es mir recht ist, so früh aufzustehen, um Ihnen das Frühstück zu machen. Aber ich bin eine Person, die es allen gut machen will. Ja, so bin ich, ich muß alle glücklich machen.“ Aber da war ich schon draußen, dachte nicht an Blasen oder Wetter und rettete mich in die Obhut meiner Verwandtschaft. Glücklich war ich, da muß ich Frau Butz recht geben. So kratzte ich noch zusammen, was meine M a nieren hergaben, und bedankte mich für ihre Geduld und Liebenswürdigkeit. Ich werde sie nie vergessen, versprach ich, und wies Standa an, nichts zu fragen und Gas geben. Ich riskierte noch einen letzten Blick durch das Rückfenster. Frau Butz sah uns von der Haustreppe gütig nach, lächelte beseelt und winkte.
    Es regnete an diesem Tag tatsächlich nur im Umkreis von einigen Dutzend K i lometern um Steingaden herum. In München lachte gar die Sonne. So war es einfacher, das „sehr gepflegte, unfallfreie Fahrzeug aus erster Hand“ als einen geschickt repariertes Wrack zu entlarven. Ich wage gar zu behaupten, daß die armenische Sippschaft gar kein anders geartetes Fahrzeug auf dem Hof zu st e hen hatte. Im Scheckheft fehlten Eintragungen für die letzten drei Jahre, und der wahre Verkaufsgrund war wohl ein Überschlag im freien Feld. Im Fahrwerk klebte noch jede Menge Lehm. Irgendwie rührend, diese Armenier. Angeblich sind sie geschäftstüchtiger als Juden. Meine Sprachkenntnisse nutzte ich haup t sächlich, um den Strafbestand des Betrugsparagraphen zu erklären. Der junge Mann verdiente eine Chance, aber ich glaube nicht, daß er davon Gebrauch m a chen wollte. Auf dem Rückweg aßen wir auf dem Parkplatz vor einem McD o nald Restaurant die mitgebrachte Brotzeit, und ich dürfte mir anschließend Sa n dalen kaufen. Natürlich für mein eigenes Geld, Standa war nach dem armen i schen Debakel nicht in Geberlaune.
    Immerhin brachte er mich zurück. Leise und unauffällig schlich ich am Haus der Frau Butz vorbei. Ich fürchtete, sie könnte mich zufällig sehen, zu sich bitten und mir etwas über meinen Charakter erzählen. Hier goß es wieder in Strömen, und ich hätte schwach werden können und statt den Camino noch eine Nacht das verschlissene Gastzimmer nehmen. Obwohl unwahrscheinlich, war es dennoch vorstellbar. Also hielt ich keinen langen Abschied. Rasch und fröhlich lief ich in nassen Sandalen den grünen Lech entlang. Bis Abend noch schaffte ich die g e plante Etappe. Sie war ohnehin nicht sehr lang. Wohl wegen des Regens traf ich an diesem Nachmittag keinen einzigen Radfahrer, und die Bauer gossen keine Odelbrühe aus. Es roch nicht nach Kuhscheiße, sondern kühl und frisch nach Wasser und Erde. Der Herr ging wieder ein Stückchen mit, und ich wollte ihn nach Frau Butz ausfragen. Aber er verriet nichts. Lachte nur. Wir seien doch alle gleich komisch, meinte er wohl, und er liebe uns trotzdem. Ich aber war noch nicht versöhnt und dachte trotzig: „Ich bin ein Fluß, fließe so dahin an fremden Ufern, manchmal langsam, manchmal ein wenig schneller, kaum bin ich da, da bin ich schon weiter, und ihr, Menschen, seht mir nach, wie ich um die Biegung verschwinde.“
Marktoberdorf, km 294
    Und der Herr sah auf mich und führte mich in ein Haus, wo ich nicht mißfiel. Es waren bodenständige, arbeitsame Leute, die man als Stadtbewohner nicht mehr so häufig trifft. Sie waren lieb und gesprächig, stellten selbst viele Fragen. Reichtum fand sich hier nicht, aber alles war sehr sauber, sogar eine Brotzeit für unterwegs bekam ich am nächsten Morgen. Sie fanden an meinem Charakter wohl nichts auszusetzen. Warum sollten sie auch? Vor dem Abschied suchte ich noch die Kirche auf. Dort lag der Pilgerstempel, und ich wollte noch ein bißchen mit dem Herrn reden. Ich eile voran auf dem Weg deiner Gebote, denn mein Herz machst du weit. [6] Das war wahr. Ich dachte daran, wieviel ich in der kurzen Zeit innerlich erlebte, wie reich an Mitgefühl ich wurde. Es wurde mir fast ba n ge. Es fiel mir inzwischen nicht mehr schwer, unterwegs an jedem Kruzifix dankbar ein Vaterunser zu sprechen und in

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