Bis ans Ende der Welt (German Edition)
beim Scheißen treffen. Und der arme Mann stürzte auf der Stelle wie gefällt nieder und tat sich sehr weh. Blutend und wankend stand er auf, schwang sich mit Mühe auf das lädierte Rad und fuhr wie von den Furien gehetzt davon. Als ob er fürchten müßte, an Ort und Stelle erschlagen zu we r den. Mir tat der Vorfall nicht minder weh. Ich hätte wissen können, daß sich der Fluch erfüllen kann, ich sah es schon mal passieren. Doch unbeherrscht, wie ich bin, achtete ich nicht darauf, und der Herr ließ mich auflaufen. Nie wird man ihm gerecht, und kommt man ihm endlich ein wenig näher, so entdeckt man an sich immer mehr Fehler, und es nimmt nie ein Ende. Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung; dem allem widerspricht das Gesetz nicht. [56] Das war ein fernes Ziel, dagegen war der Camino geradezu ein kleiner Spaziergang.
Bis zum Mittag zog sich die Pilgerkarawane etwas auseinander, auch das Wetter wurde besser, und hätte es die lästigen Radler nicht gegeben, wäre der Tag so schlecht nicht. Wenn es auch sonst nichts gab, konnte ich mich immer an dem grünen Gebirge erfreuen. Doch gleich nach dem Paß von Erro führt der Camino durch eine ausgebaggerte Mondlandschaft, wo früher einmal Magnesit abgebaut wurde. Als dann die Fabrik ihre Toren schloß, ließ man die Wunde einfach st e hen. Die Spanier scheinen mit diesen Dingen keine Probleme zu haben, ich aber schon. Es war bitter, durch die menschengemachte Wüste hindurch marschieren zu müssen. Weit und breit nichts als Geröll u nd beisenden Geschmack der Ch e mikalie auf der trockenen Zunge. Sogar, als ich schon in der Herberge von Larrasoa a ankam, schmeckte die Zunge im Mund noch bitter. Ich wusch mich und meine Sachen und aß eine Kleinigkeit von dem, was ich unterwegs einka u fen konnte. Ich hatte Glück, oben am Paß auf einen kleinen Laden zu stoßen, wo zum Touristenpreis Brot, Käse und Wurst zu haben waren, und konnte so meine Vorräte auffrischen. In der Herberge gab es keine Möglichkeit zu kochen. Sie war auch sonst nur eng und häßlich, und vor Ort gab es außer eines verfallenen Pilgerhospizes und der Kirche nichts zu besichtigen. So landeten alle, mich nicht ausgenommen, früher oder später in der Kneipe, wo es dementsprechend hoch ging. Ich aber hatte miese Laune und erklärte jedem, der es hören oder nicht h ö ren wollte, was ich von Spanien halte. Gutes kam darin nicht vor. Ich hätte mich da noch mehr hineinsteigern können, doch eine junge Spanierin, belehrte mich darüber, wie unpassend dieses Gerede für jemanden sein möge, der dieses Land sein eigen nennt und liebt. Das war klug und mutig gesprochen, und wir wurden in den kommenden Tagen noch gute Freunde. Leider war ihr Pilgerfreund Ma r cel ein miserabler Läufer, und beide verließen schon bald den Camino in Ric h tung Badeküste.
Cizur Menor , km 2114
Nichts hielt mich in diesem Ort, nicht einmal der Schlaf. Jemand schnarchte die ganze Nacht so jämmerlich, daß ich nicht schlafen konnte. Ohne durch die übe r füllten Bettreihen zu gehen, war der Übeltäter nicht sicher auszumachen, aber ich vermutete ihn in einer Gruppe italienischer Pfadfinder. Seit ihrer ersten Pi l gerfahrt nach Santiago vor zig Jahren gingen sie den Camino Francés jedes Jahr. Inzwischen waren sie in den Vierzigern, alle fünf auffallend klein, stämmig und geschwätzig. Sie sprachen ununterbrochen - lauter Banales. Wie sie gerade in die Dusche steigen, wie sie sich einseifen oder abtrocknen, wie sonstwas. Immer sprudelte es aus ihnen heraus. Nun schnarchte es gewaltig, und es ließ mich nicht wieder einschlafen. Nichts half, nicht einmal die Müdigkeit. Um fünf Uhr gab ich auf und ging ins Bad. Es war nur ein kleines Bad für zwei, mußte jedoch an diesem Morgen gut vierzig Personen beiderlei Geschlechtes bedienen. Ich tröstete mich mit diesem Gedanken. Ohne eine Küche gab es dann auch kein Frühstück. Noch vor der Dämmerung brach ich auf.
Mit von der Partie war wieder Philippe. Ihm erging es wohl ähnlich. Er hatte es an diesem Tag sehr eilig und machte mächtig Tempo. Über jeden, den wir u n terwegs überholen konnten, freute er sich wie ein Schneekönig. Wir waren schnell wie die Wiesel. Wer uns von hinten kommen hörte, sprang gleich zur Seite, als ob wir vielleicht eine Bande bunter Radfahrer wären. Es machte Spaß, solange es anhielt. Der Weg war abwechslungsreich und folgte bis nach Pa m plona dem
Weitere Kostenlose Bücher