Bis ans Ende der Welt (German Edition)
waren irgendwie mau und schweigsam. Entweder mauschelten sie untereinander oder versuchten, andere anzubohren. Sie hätten heute schlecht geschlafen, seien belästigt worden, etwas sei los gewesen, habe niemand sonst etwas gemerkt? Keiner merkte was oder wollte was gemerkt haben. Man trank Kaffe, mampfte Kuchen oder was gerade vorrätig war, lachte, schwätzte, studierte Karten und machte Pläne. Die südlä n dische Frau lärmte auf Italienisch-Spanisch dahin und hörte keine Sekunde auf. Alles wie üblich. Ich hätte den Fall freilich aufklären können und hätte es vie l leicht auch getan, wurde jedoch nicht gefragt. Es war vielleicht auch gut so. Philippe meinte, sie seien wegen dem Vorfall sehr böse und könnten nachtr a gend werden. Ich aber ließ mir die Laune nicht verderben und argumentierte, es sei ein Akt der Selbstverteidigung gewesen. War es ja auch. Philippe sinnierte über ein schalldichtes Extrazimmer für die Schnarcher, wo sie nachts gleichb e rechtigt gegeneinander antreten könnten. Naive Wunschträume! Bevor wir uns dann schon um sieben Uhr auf den Weg machten, hatte ich noch die Italiener g e fragt, wie weit sie heute zu gehen gedenken. Sie gaben mir bereitwillig Antwort, und ich wußte, wo ich ganz bestimmt nicht übernachten werde. Somit ist uns a l len eine schlaflose Nacht erspart geblieben.
Der Sinn des frühen Aufbruchs lag darin, möglichst viele Kilometer zu schaffen, bevor die Hitze unerträglich wird. Philipp gab wieder das Tempo an, und um die Mittagsstunde saßen wir nach zwanzig Kilometern forcierten Marsches in Puente la Reina in einem kleinen Straßencafé und hielten Siesta. Es war eine e n ge, schattige Straße, für eine spanische Siesta wie geschaffen. Obwohl als Fu ß gängerzone deklariert, fuhren ständig Autos vorbei, darunter auch ein protziger Polizeijeep. Hier in Spanien wimmelte es ja geradezu von den Bütteln. Ich zäh l te mindestens fünf unterschiedliche Arten, dazu kamen unzählige private Wac h dienste. Überall lungerten sie herum und starrten Löcher in die Luft. Eigentlich wie noch unter der Franco-Diktatur, doch wurde man deutlich weniger belästigt. Zumindest als Pilger. Die dicken Ballonreifen des Polizeifahrzeugs verfehlten nur knapp die Zehen eines etwa dreijährigen Jungen, der barfuß auf der Hau s schwelle mit einem Plastikmotorrad in der Hand saß und aufmerksam das G e schehen auf der Straße beobachte. Er tat es sehr konzentriert, und das kleine G e sicht spiegelte die Emotionen wider. Die Menschen, die wie Ameisen geschäftig hin und her liefen, waren beileibe keine Schönheiten. Kleinwüchsige, verwac h sene Typen mit schmalen Lippen und spitzen Nasen. Bäuche, Hintern und Hä n gebusen. Aber was für ein Elan! Man redete, schrie, gestikulierte, Geschnatter überall wie bei einem Schiffsdiesel. Der Heidenlärm schien absolut niemanden zu stören, alle waren laut glücklich bei dem, was sie gerade taten. Aus dem Fe n ster über uns dröhnte ein Trommeln wie bei einem Straßenaufmarsch. Ein Euro kostete hier das Glas Rotwein, etwas mehr als bisher, weil dies schon eine ric h tige Stadt mit richtigen Geschäften war. Auf dem Weitermarsch durch die Ga s sen nützten wir die Gelegenheit, um Vorräte aufzufrischen. Eßbares gab es in Fülle, und der lüsterne Magen stritt mit dem müden Rücken, der die Einkäufe später tragen mußte.
Nur gut, daß der Rücken den Streit gewann, denn es ging sehr zähe weiter. Die Mittagshitze beschränkte sich nicht etwa nur auf den Mittag, sondern hielt bis in die Nacht hinein. Eigentlich nahm sie immer mehr zu. Alles um uns glühte, als ob es gleich in Flammen aufgehen sollte. Ich hätte tot umfallen können. Päng, Bum und Feierabend. Dein Wille geschehe! Kreuze am Wegrand erzählten tra u rige Geschichten von toten Pilgern. Davon abgesehen fühlte ich mich allerdings noch einigermaßen fit. Zwar hatte ich ein wenig Knieschmerzen, aber es hielt sich in Grenzen. Blasen waren zur Zeit nicht aktuell, bis auf die eine, tief in der Ferse, an die ich nicht herankam. Vielleicht half auch die Fußcreme, mit der ich jeden Abend die Sohlen behandelte. Sie waren weich und geschmeidig, doch fast ohne Gefühl, und in der Nacht stachen darin kleine Nadeln. Doch wenn ich in der Pause die Schuhe auszog und die patschnassen Füße an der heißen Sonne trocknen ließ, war ich fast beschwerdenfrei.
Da wir schon am Vormittag zwei Drittel unserer geplanten Tagesleistung abso l vierten, konnten wir es etwas ruhiger angehen lassen.
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