Bis ans Ende der Welt (German Edition)
denn da gibt es immer e t was, was man noch tun könnte, sei es auch, nur sinnlos die Zeit vor dem Ferns e her totzuschlag en. Hier aber nicht, hier blieb nur ein guter Schlaf übrig, um am nächsten Tag wieder fit zu sein. Zumindest für die ersten paar Kilometer. Auch hatte ich vor, früher als sonst aufzustehen, um dem jetzt schon absehbaren Streß bei der Morgentoilette zu entgehen. Denken aber half wenig, da andere ähnlich dachten. Trotzdem ging es am Morgen im Bad recht gesittet zu, was mir einige Bewunderung abverlangte. Jedenfalls war es draußen noch dunkel, als ich an der Tür die inzwischen fast trockenen Stiefel anzog und losmarschieren wollte. Das tat ich mit Schwung und wäre um ein Haar durch die noch verschlossene Glastür hindurchmarschiert. Es brachte mir eine Beule und platte Nase ein, und ich schimpfte auf leeren Magen recht unkeusch über die holländische Gastfreun d schaft. Dazu erhielt ich sofort Unterstützung von Les Fous aus Metz . Unerhört sei es, seit Stunden würden sie schon darauf warten, „aus diesem KZ-Lager rausgelassen“ zu werden. Sie hätten gebettelt, gedroht, alles vergeblich, wenn man die Wächter nicht erschlagen wollte. Zufällige Lauscher, denen die abno r men Bräuche der verliebten Alten reichlich bekannt waren, grinsten unauffällig oder gingen gar in die Krypta zu lachen. Mir blieb das Vergnügen verwehrt, da ich meine Nase reiben und Mitgefühl heucheln mußte. Nicht amüsiert machte ich mich zum Tisch der Bosse auf. Dort schenkte sich der kleine holländische Kapo, der sich vor zwei Tagen zu meinem Freund kürte, gerade einen schönen dampfenden Tee ein. Ich bat ihn um eine Tasse, doch er empfahl mir freundlich das Restaurant um die Ecke. Immerhin schloß er dann die Pforte auf, obwohl es noch nicht ganz sechs Uhr war. Wahrscheinlich, um nicht mein Mitleid ertragen zu müssen, denn es stand mir deutlich ins Gesicht geschrieben. Immerhin waren wir raus, und Les Fous haben mir nie vergessen, sie aus der holländischen G e fangenschaft befreit zu haben. Fortan behandelten sie mich sehr freundlich, plauderten mit mir ausschließlich auf Deutsch und gingen sogar ein Stück mit, wenn ich sie vormittags wie üblich einholte. Das war schon was, denn sie spr a chen sonst mit niemand, außer eben ohne Unterlaß miteinander. Noch eindeut i ger wurde der vorlaute Italo-Australier, der nur zwei Stunden später gewaltsam des Hauses gewiesen wurde, mit dem Spruch, ein Pilger habe zu marschieren und nicht auf Kosten anderer faul herumzuliegen. Spanien und Niederlande h a ben an diesem Morgen so einige Fans verloren, mich mit eingeschlossen.
Nun galt es aber, zügig zu marschieren und den Weg nicht zu verlieren. Es war ein nasser, kalter, finsterer Morgen. Aus der Herbergspforte strömten nun die Pilger hinaus und huschten eiligen Schrittes wie Schatten durch die Dunkelheit. Einige überholten mich in ihrem Eifer. An diesem ersten Tag ihrer Pilgerschaft waren sie noch voller Energie. Mit einigen ging ich wenige Schritte mit, wec h selte auch ein paar Worte, dann schloß ich mich einer jungen Österreicherin an. Sie sprach seltsam träge, und ich überlegte, ob das ein Dialekt oder eine Behi n derung sein könnte, kam aber nicht drauf. Sie trug eine perfekte Bergausrüstung, einschließlich der obligatorischen Skistöcke, die man heutzutage ja unbedingt zum Gehen braucht. Bald hatte uns eine ältere Deutsche eingeholt und blieb kl e ben. Sie sprach ausschließlich nur mit der jungen Frau, mich unterbrach sie brüsk, auch wenn ich gar nicht zu ihr sprach, und rümpfte resolut die Nase über alles, was mich betraf. Sie hatte mich durchschaut, und ich wartete gespannt darauf, wann sie meine „Ungeschicklichkeit“ zur Sprache bringen würde. Sie enttäuschte mich nicht und brachte den Spruch, als sie sah, wie ich meine Sch u he binde. Na ja, vielleicht band ich sie auch mit Absicht, ich wollte es wissen. Als ich in Burgette kurz nach einem offenen Café suchen ging, verschwanden die zwei schnell und unauffällig, ohne die ppar Minuten auf mich zu warten. Aber die Welt ist klein, und ich traf sie kurz vor meiner Heimreise in Santiago noch einmal wieder. Sie schlenderten händchenhaltend durch die Altstadt und sahen sehr, sehr verliebt aus.
Es war hier eben ein anderes Publikum. Mehr als die Hälfte der Pilger war deutschsprachig, doch waren es etwas andere Deutsche. In Frankreich traf ich fast ausschließlich wohlsituierte Akademiker mit guten Umgangsformen. Hier dominierten die
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