Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Ufer des Flüßchens Rio Agra durch ein Gebüsch aus Pappeln und wilden Stachelbeeren. Die schwarzen Früchte sahen schön reif aus, waren j e doch ganz sauer. Ich schnappte mir trotzdem eine Handvoll, so oft ich konnte, denn Philippe war als echter französischer Feinschmecker nicht bereit, mit dem Einsammeln minderwertiger Früchte Zeit zu verlieren, und ich wollte auf seine Gesellschaft nicht verzichten. Er war redselig und sprach nur Französisch, was mir eine gute Übung war.
So erreichten wir noch vor elf Uhr die mächtigen Wehrmauern von Pamplona, die Hauptstadt der spanischen Basken und des Königreichs Navarra. Ein beei n druckendes Bild. Trotzdem wurde die Stadt seit der römischen Gründung im Jahre 75 vor Christus viermal zerstört und ausgeplündert. Auch von dem allseits so beliebten Karl dem Großen. Manchmal helfen halt die dicksten Mauern nichts. Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut. Wenn nicht der Herr die Stadt bewacht, wacht der Wächter umsonst. [57]
Es war ein Wochenende und die historische Altstadt fast leer. Wir konnten g e nüßlich durch die Gassen schlendern und herumlungern, wie es uns einfiel. Und ich hatte noch Zeit genug, mich nach einem neuen Füllfederhalter als Ersatz für den in Roncesvalles geklauten umzusehen. Einfach war das aber nicht, denn hier waren die Preise sehr hoch. Touristennepp. Auffallend war das Desinteresse der Verkäufer. Deutschland sei kundenunfreundlich, sagt man, aber das hier war mehr. Es hätte mir nicht gewundert, hätte das Fräulein, das mich bedienen sollte, vor Langweile mit dem Finger in der Nase gebohrt. Erst am Stadtrand fand ich einen kleinen Papierladen, wo das Gesuchte für ein paar Euro zu haben war. Der Besitzer, ein alter Herr der alten Schule, weit über das Rentenalter hinaus, b e diente mich freundlich, kompetent, interessiert. Er schien mir ganz und gar nicht in dieses junge, moderne Spanien der flotten Nasebohrer, Jogger und Radfahrer zu passen. Er erinnerte mich an meinen Schuhhändler zu Hause, einen Juden mit Sinn fürs Geschäft. Vielleicht war auch der da ein Jude, wer weiß. Man kann ja nicht so einfach jemanden fragen, ob er Jude sei, aus welchen Gründen auch immer, es sei denn, er sagt es einem selbst. Israelis kann man fragen, ob sie I s raelis sind, aber nicht vermeintliche Juden in Pamplona. Schließlich ging es mich auch nichts an. Aber die Ähnlichkeit stimmte mich irgendwie froh. Und natürlich auch das neue Schreibzeug. Nun fiel mir auch auf, wie gepflegt, sauber und urbanistisch gut ausgedacht hier alles war. Um die Universität herum pflanzte man lauter exotische Nadelbäume zu einem großen Park, wie es in Mi t teleuropa noch in achtzehnten, neunzehnten Jahrhundert gemacht wurde. Die Straßen hatten keine Löcher, die Steinplatten auf den Gehsteigen lagen wie mit dem Lineal gezogen, und die Granitfassaden waren frei von Schmutz und Graff i ti. Vieles davon verdankte die Stadt gewiß der europäischen Förderung, doch das Geld wurde hier nicht verschwendet.
Dieses Pamplona gefiel mir, hier hätte ich es gar länger ausgehalten. Doch dazu war noch zu früh, die zurückgelegte Strecke zu kurz, und die provisorische He r berge in der Universität sollte laut Führer auch nichts taugen. Aber Pilgerste m pel sollte es da geben, und es lag mehr oder weniger auf dem Weg. Als ich übermütig mit dem krummen Pilgerstab auf das hochgelegene Fenster der Pforte klopfte, um auf uns aufmerksam zu machen, fühlte ich mich intensiv beobachtet. Und tatsächlich, schon wachte ein Polizist mit schußsicherer Weste, Maschine n pistole und Funkgerät über uns. Es gab Ferien, der Platz lag wie verlassen da, keine Studenten weit und breit. Rechnete man etwa mit renitenten Pilgern? Eine Verstärkung eilte heran und zeigte uns, wie brave Bürger zum Pilgerstempel kommen, ohne öffentliche Einrichtungen unzüchtig zu berühren. Wir erholten uns von dem Schreck in einem Straßencafé einige Straßen weiter, frühstückten zu Mittag. Der Herr meinte es gut mit uns. Zur Erinnerung knipste Philipp uns e re Füße, wie sie frei von Stiefeln und gesellschaftlichen Zwängen entspannt und fröhlich an der Sonne trocknen. Ein Bild, reich an Emotion und Symbolkraft, denn so wie sich unsere Füße fühlten, fühlten auch wir uns.
So nahmen wir einen würdigen Abschied von dieser liebenswürdigen Stadt. Wir taten es in aller Ruhe, denn wir hatten heute nicht mehr weit zu gehen. Unser Tagesziel hieß Cizur Menor , eine
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