Bis ans Ende der Welt (German Edition)
suchen. Ich war allein, denn ich wollte mit meinem Aberglauben niemanden aufstacheln. Aber ich war mir sicher, daß dieser besser war, als alte Schuhe oben am Kap einzuäschern. Also schlich ich mich hoch und pries, daß um diese Stunde hier außer mir noch kein Mensch unterwegs war. Es dauerte dann eine ganze Weile, bis ich eine passende Stelle fand. Überall Sand und Stein. Es war einfach nicht genug schwarze Erde hier, um eine deutsche Eiche gedeihen zu lassen. Dazumal in so einem bedaue r lichen Zustand wie die meinige nach dreitausend Kilometern Dienst als Pilge r stab. Erst ganz oben auf der Klippe, wo die Stadtväter von Finisterre schon ein paar Platane aufgepflanzt haben, fand ich die Gelegenheit. Ich zog den Herrn zu Rate, dann einen legal eingerammten Pflock aus der harten Erde und pflanzte den Pilgerstab hinein, als ob er eine zarte, blühende Pflanze wäre. Wollte der Herr es so, würde daraus eines Tages ein mächtiger Baum des Glaubens werden. Ich hegte darüber keine Zweifel, trotzdem lobte ich mir, es bis auf den Herrn ohne Zeugen und Erklärungen erledigt zu haben. Bis ich zufällig zurücksah. In einem Fenster über mir ruhte ein älterer Mann und nahm einen regen Anteil an meinem gottesfürchtigen Werk. Ich erschrak richtig, als ob ich was verbrochen hätte. Was tun? Dann aber grüßte ich wie selbstverständlich und freundlich, und er grüßte freundlich und selbstverständlich zurück. Kein Wort, keine Frage, ke i ne Kritik und Ermahnung, öffentlichen Grund nicht mit illegalen Pflanzungen zu verschandeln. Vielleicht aber waren solche Dinge hier ganz & gar üblich. Pilger tun ohnehin oft seltsame Dinge. Jedenfalls wollte ich mich nicht so einfach in die Flucht schlagen lassen. So setzte ich mich auf die Bank und blieb an dieser herrlichen Stelle – mir schien sie die schönste des Finisterre zu sein – solange ich noch konnte. Erst im letzten Moment eilte ich wieder zurück zum Hafen, wo der Bus nach Santiago schon wartete. Nun war ich wirklich fertig, ich habe alles getan, was es zu tun gab. Und wäre es das letzte Ding in meinem Leben. Der Herr ist mein Zeuge.
Nach Hause
Wann ist denn eine Reise zu Ende? Diese jedenfalls scheint gleich mehrere E n den zu haben. Ein Ende war gewiß die Ankunft in Santiago und dann in Finiste r re. Ein Ende war der phantastische Sonnenuntergang am Kap und das Einpfla n zen des Pilgerstabs. Ein Ende war gar das Besteigen des Busses erst nach San t iago und dann nochmals am nächsten Tag nach München. Vor dem Bus nämlich hatte ich eine richtige Scheu. Ebenso gilt als ein Ende der Reise, wenn man nach Hause kommt. Aber auch das geriet durcheinander, und so betrachte ich das E n de meiner Pilgerreise als ein komplexes, aus vielen Teilen zusammengesetztes Ding. Darüber hinaus stand bis zum letzten Augenblick, und das ist wörtlich gemeint, die Möglichkeit im Raum, zu Fuß zurückzugehen. Es war vergeblich, sich die Unsinnigkeit und die Strapazen eines solchen Unterfangens zu verg e genwärtigen. Der Gedanke kam immer wieder. Und wie wäre es, statt nach Ha u se, nach Rom und dann weiter nach Jerusalem zu gehen? Ein langer Weg, g e wiß, aber vielleicht doch nicht ganz utopisch. Drei, vier Monate bis nach Rom. Immer entlang der Mittelmeerküste. So könnte man dem Herbstwetter entko m men, den Winter dann irgendwo in einem italienischen oder französischen Kl o ster verbringen. Das würde auch meinen Sprachkenntnissen zugute kommen. Und dann im Frühjahr weiter nach Jerusalem, auf dem Weg, den schon beim e r sten Kreuzzug im 11. Jahrhundert Robert von Flandern nahm - über Bari, Adri a nopel, Konstantinopel, Nicäa, Antiochia, Tripoli. Deus lo vult! Ich war frei wie ein Vogel, ich konnte ziehen, wohin ich wollte. Nichts lag zu weit, wenn der Herr seinen Segen gab. Wollte er, daß ich weiter ziehe?
Am Ende fand ich mich damit ab, daß ich mein Gelübde erfüllt hatte, und nahm - völlig phantasielos - den Bus. Auf die Zugreise erster Klasse, von der ich u n terwegs manchmal träumte, verzichtete ich wegen der Sicherheitskontrollen auf den spanischen Bahnhöfen. Wer weiß, wofür sie gut waren, denn es würde re i chen, an irgendeiner verlassenen Stelle die Schienen durchzuschneiden, und der ganze Zug wäre mit Höchstgeschwindigkeit in der Pampa zerschellt. Und keine Kontrolle am Bahnhof könnte das je verhindern. Aber die Spanier hatten ein paar Jahre zuvor einen Bombenanschlag auf dem Bahnhof in Madrid, viele Jah r zehnte Terrors durch baskische und
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