Bis ans Ende der Welt (German Edition)
günstigen Umständen zur Gewohnheit machte, ist u n terwegs plötzlich viel komplizierter. Auch kramt man ständig den Rucksack um, dauernd braucht man etwas, was garantiert ganz unten ist, und stets sucht man die Umgebung ab, ob nichts liegengeblieben ist, was kurzfristig nicht so einfach zu ersetzen wäre. Und das ist praktisch alles, weil man nur das Nötigste mi t nehmen, sprich tragen kann. Nirgends gibt es Platz genug, um alles auf einmal auszupacken und auf Lage und Vollständigkeit zu kontrollieren. So kam ich an diesem Tag eine Minute zu spät zum Sammelpunkt. Der Gang war leer, die Tür zu, und ich draußen. Keine Laudes, es sei denn, ich würde um das Haus herum zum Kircheingang laufen und den Mönchen durch das Gitter zuschauen. Nicht mehr zu schaffen, vor allem hatte ich keinen Schlüssel, um wieder ins Haus zu kommen. Frühstücken sollte ich heute ohnehin nicht mit den Hausgästen im R e fektorium, das teilte man mir schon am Abend mit. Vermutlich zog man Erku n digungen an und entlarvte mich als Hochstapler – oder so ähnlich. Um das Mo r gengebet war es mir schade, sonst ließ ich mir es auch bei den Domestiken schmecken. Kaum habe ich mich da heimisch gemacht, stürzte der Rufer und Warner hinein, griff sich eine Tasse Kaffee und fiel sofort wieder über die Kro a ten her. Ein anderer Hausgast, der offenbar auch die Laudes versäumte und auf das Frühstück im Refektorium nicht warten wollte, wagte zu widersprechen. Die Kroaten seien doch harmlos und so weiter. Aber es half ihm nichts. Die beiden Herren tranken den Kaffee unter einer gewissen Spannung. Interessanterweise hatte der Feind aller Kroaten sonst überhaupt nichts mit dem Balkan oder den Slawen an sich zu schaffen. Um zu testen, ob seine Abneigung allgemeiner oder spezifischer Art war, lenkte ich seine Aufmerksamkeit auf die „bösen Slow e nen“. Aber er winkte ab. Nein, die Kroaten seien es, gefährlich immer und übe r all. Wenn es ein Witz war, so war er wenigstens konsequent darin. Andererseits trifft man im Kloster häufig die merkwürdigsten Charaktere. Die Institution scheint sie anzuziehen. Es heißt auch, der Widersacher schleiche sich hier gerne ein, um Zwietracht zu stiften und die Pharisäer zu versuchen. Wer weiß.
Ich verließ Einsiedeln schnellen Schrittes und mit gemischten Gefühlen. Der Himmel war grau, die Temperatur im Tal nur dreizehn Grad, es regnete. Vorhin war es die Schafskälte, jetzt wohl die Hundekälte. Vor mir streckte sich eine a b norme Bergformation gen Himmel. Mythen hießen die zwei Bergkegel. Der Weg führte dran vorbei erst fünfhundert Meter hoch zum Paß, dann wieder ta u send Höhenmeter hinunter. Dies sei der höchste Bergübergang des Schweizer Jakobsweges, sagte der Führer. Ich war geehrt und beeindruckt. Nach fast drei Wochen Training, mit wieder halbwegs intakten Füßen brauchte ich schweißg e badet nur anderthalb Stunden nach oben, wo es inzwischen heftig goß. Der Wind fegte die Wolkenfetzen so schnell heran, daß man unwillkürlich den Kopf einzog, um nicht eine Beule zu bekommen. Aber: „Wenn man die Augen au f macht, ist die Welt schön,“ stand gestern an einer Hauswand geschrieben. Das tat ich, erblickte eine betriebsbereite Almwirtschaft und leistete mir mit triebha f tem Genuß eine große heiße Milch in der molligen Behaglichkeit der holzb e heizten Bauernstube. Später erzählte mir eine Pilgerin, sie sei hier im steilsten Berg einer Herde Kühe begegnet, die sie auf dem engen Pfad fast niedertrampe l te und mit bis ins Tal zurück riß. Nicht umsonst heißt es „blödes Rindvieh“. Ich kam noch einigermaßen billig davon, als ich nur ausrutschte und voll in einen der sehr zahlreichen, grünschimmernden Kuhfladen langte. Er war noch warm. Aber auch so denke ich heute, inzwischen allen Kühen Europas begegnet, ihren Gestank in Hülle und Fülle eingeatmet und durch ihre Extremente angeltief g e watet zu haben. Wenn ich bis zum Lebensende keine Kuh mehr aus der Nähe sehen sollte, ich werde es nicht vermissen. Und doch war es gewissermaßen eine Art Klimax. Nach weiteren anderthalb Stunden steilen Abstiegs passierte ich die Grenze zum Kanton Schwyz, und von nun an wurden die Kühe immer weniger und seltener, dafür die ordentlichen Touristen und Ausflügler immer mehr.
Kein Wunder, Brunnen liegt bereits an dem allerseits beliebten Vierwaldstätter See. So weit bin ich schon gekommen! Der See mußte aber noch eine Nacht warten, den ich fand eine schwelgerische Unterkunft
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