Bis ans Ende der Welt (German Edition)
grauen Wolken. Erbost war ich in Stans-Oberdorf, als ich auf einen echt steilen Lehrpfad der dortigen Militärakademie geführt und mit rührvollen Tafeln über die Härte und Langweile des Soldatend a seins traktiert wurde. Wahrscheinlich wurden diese Gefühle von dem Lehrpfad selbst inspiriert, der sich endlos auf schnöden Wohnstraßen auf den Hügeln um das Ausbildungsgelände hinzog. Enttäuscht war ich, als ich später feststellen mußte, daß mich dieser Umweg um die historische Altstadt von Stans heru m führte. Eine der Attraktionen, die ich in der Schweiz einmal wirklich mit eig e nen Augen sehen wollte, versäumte ich so – den Brunnen „Tod und das Mä d chen“. Wie lasziv sich doch der Tod von hinten an das Mädchen schmiegt, das naiv ihre nackte Schönheit im Spiegel bewundert, ihr um die Hüfte greift. Ich kenne das Foto. Und es gäbe da noch mehr zu sehen, der kleine Ort stammt aus dem frühen Mittelalter. Aber ich dürfte statt dessen den Soldatenlehrpfad b e wundern. In voller Ausrüstung im Laufschritt marsch!
In der Stadt selbst gab es sowieso keine billige Unterkunft, nur zwei einsame Bauernhöfe irgendwo in den nassen Wiesen herum standen den Armen zur Wahl. Schlafen im Stroh, das kannte ich schon. Naß und hungrig wie eine Fore l le bei Temperaturen weit unter zehn Grad auf Stroh zu ruhen, war nicht gerade verlockend. Doch einen Schweizer Hunderter für ein Hotelzimmer ohne Frü h stück in der Stadt hatte ich nicht übrig. Ich lebte deutlich schlimmer als ein Hund in der Schweiz. Alles kostete hier zwei- bis dreimal mehr als anderswo in Europa. Die Währung war total überbewertet, der Lustgewinn schwach bis m ä ßig. Genau das richtige Land für neureiche Russen und koreanische Backpa c kers.
Ich steuerte also die nächstliegende Strohschlafstelle an. Ein gesetztes Ehepaar mit Hund, das ich unterwegs nach dem Weg fragte, riet mir ab, aber inzwischen mißtraute ich Leuten, die im Warmen schlafen konnten. Der Standpunkt ist nicht immer der gleiche. Die Entfernung und meine schwachen Kräfte gaben den Ausschlag. Der eine Hof war weit, der andere nahe. Bald konnte ich die Leute aber verstehen. Das alte Appenzeller Holzhaus war schön, aber die Hofwir t schaft sah sehr marode aus. Keine Spur von dem bei Bauern üblichen luxuriösen Fuhrpark. Ein nasses, völlig verdrecktes Pferd stampfte kurzangebunden unruhig in einem kleinen Stall, in dem es außer Beton und Dreck nichts gab. Nicht ei n mal eine Gabel Heu. Die Decke war so niedrig, daß es den Kopf einziehen mu ß te. „Armes Pferd, mußt du in einem Ziegenstall hausen,“ sagte ich zu ihm. Aber es mochte mein Mitleid nicht, drehte mir den Hintern zu und ließ einen langen, wohl artikulierten Furz auf mich los. Ich verstand und ging, mir vorsichtig zw i schen den Kuhfladen den Weg bahnend, ins Haus verhandeln. Da schien ich Glück haben. Ja, natürlich, immer willkommen, aber im Stall könne ich nicht schlafen, der werde gelüftet, hieß es. Mir schienen Ställe bis dahin mangels Is o lierung stets luftig genug, aber ich wollte das Thema nicht vertiefen. Ich könne das Zimmer der Tochter haben, meinte der Bauer. Halleluja, kein Stroh! Und die Bauern waren wirklich sehr lieb. Sie sahen ein, daß ich mich bei dem Wetter nur schwer im Stall waschen kann, auch wenn es bis dahin angeblich niemanden störte, und überließen mir ihr privates Badezimmer. Ich durfte meine Kleidung waschen und im Haus trocknen. Das Zimmer war spartanisch, machte aber einen sauberen Eindruck. Altes Holz. Es gab ein Bett, einen Schaukelstuhl, einen Kleiderschrank und eine Obstholzkiste als Nachttisch. Außerdem ein paar Plüschtiere. Der Bettbezug war aus zwei verschiedenen Teilen „neu“ genäht. Die Bauern müssen wohl sehr arm gewesen sein, aber da unten, in der beheizten Wohnstube, alle zusammen um den Tisch sitzend, machten sie einen zufried e nen Eindruck. Mein Zimmer hatte überhaupt keine Heizung, ich glaube sie war dort gar nicht vorgesehen. Also aß ich den letzten Energieriegel und ging ins Bett. Es war die einzige Möglichkeit, um warm zu werden und keinen Hunger zu spüren. Ich schlief selig ein, sollte aber keinen langen Schlaf finden. Etwas biß hartnäckig an meinen Füßen. Ich machte Licht, fand aber nichts. Es wiede r holte sich. Endlich wurde es Morgen. Es war genauso kalt wie gestern abend, draußen wie innen. Doch der Körper hatte sich erholt. Nur die Füße, die auf dem Mädchenbett keinen Platz fanden und wegen Überlänge die Nacht im
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