Bis ans Ende der Welt (German Edition)
ich gleich in die Kirche ging. Mit Stab und Rucksack, der Herr wird’s verzeihen. Nach außen streng, kam sie mir innen richtig gemütlich vor, zu Andacht und Meditation einladend. Obwohl sie gut g e füllt war. Aber im Gegensatz zu anderorts benahmen sich die Menschen sehr rücksichtsvoll, ja eben andächtig. So, als seien sie tatsächlich in einer Kirche, an einem heiligen Ort. Ehrlich gesagt, fürchtete ich mich schon ein wenig davor, auch hier den üblichen Horden von halbnackten Russen und anderen Asiaten in angeregtem Gespräch über Sonderangebote zu begegnen. Sie machen heutzut a ge fast alle berühmten Kirchen unpassierbar. Das nennt man dann „florierenden Tourismus“ und „Interesse an dem europäischen Kulturerbe“, und viele verdi e nen sich an diesem Humbug satt. Und dann kommen noch welche und wollen in Ruhe beten? Als ich einmal im Kloster Sinai in der Kapelle meditierte, rüttelte mich energisch ein dort Wache schiebender Fellache auf, ich wolle doch „Bi t te!“ woanders hin schlafen gehen.
Aber hier fühlte ich mich genau richtig. Ein heiliger Ort, Ziel der Pilger. Gestern bat ich telefonisch Pater Benedikt, Gunther war nicht zu erreichen, für mich im Kloster ein Zimmer zu reservieren. Von Benediktiner zu Benediktiner, sozus a gen. Ich wollte ja direkt an der Quelle lagern, nicht irgendwo in einem verschli s senen Touristenbett, und freute mich schon auf die lateinische Vesper. Das e r zählte ich an der Pforte gleich dem herbeigerufenen Gastpater, da ich dachte, es werde ihn freuen. Seltsamerweise aber machte es ihn eher verlegen. Es habe ja tatsächlich jemand angerufen, habe aber keinen Namen genannt. „Ein Kloster, und was machen sie dort? Aber für Jakobspilger ist natürlich immer ein Zimmer frei.“ Ich war beruhigt. Es war typisch Pater Benedikt. Man konnte ihm nicht böse sein. Vermutlich nahm er an, daß einem Jakobspilger in Einsiedeln auch so alle Türen offen stehen werden. Und in der Tat, es gab ein Zimmer mit acht Be t ten, manche davon sogar frisch bezogen. Auch eine Dusche mit Toilette gab es auf dem Gang. Und die Frau an der Pforte meinte, das sei mit Abendessen und Frühstück für fünfundzwanzig Franken eine ausgesprochen günstige Gelege n heit, billig unterzukommen. Nun wurde ich gleich weiter ausgeforscht, ob ich denn in meinem Kloster auch mit den Brüdern im Refektorium essen dürfe, ob ich mit ihnen in der Klausur wohne, und was ich dort mache. Es kam mir etwas seltsam vor, aber es stellte sich heraus, daß hier eine Gasthierarchie herrscht. An erster Stelle waren die Benediktiner und andere Mönche, an der zweiten die Hausgäste und an der letzten die Jakobspilger. Diese hatten keinen Zugang zum Chor und Refektorium, beteten und aßen sozusagen mit dem Personal. Und se hatten zu bezahlen. Also wurde genau geprüft. Etwas peinlich war es, und ich hätte auch ohne sein können, doch der Stein rollte schon.
Zunächst dürfte ich mit in die Vesper. Zur festgesetzten Zeit suchte ich den mir avisierten Gang auf, wo es bereits recht voll war. Der heilige Benedikt meinte, dem Kloster sollten Gäste nie ausgehen. Aber das hier war schon eine greifbare Menge, die zu unterhalten, bestimmt nicht billig kam. Meist ältere Herren mit Sakko und Krawatte. Lehrer, Beamte, pensionierte Priester, christliche Autoren, verdiente Künstler. Die meisten sahen aus, als ob sie das Hausgastprivileg wohl zu schätzen wüßten. Einer aber raunte mir ins Ohr, die Kroaten seien gefährlich, und man hätte sie nicht kommen lassen dürfen. Vorsichtshalber stimmte ich zu. Während dessen wurden wir vom Gastpater angewiesen, in der Vesper nicht e t wa mit zu singen, der Pater Kantor wünsche es nicht. Enttäuschend, aber auch verständlich. Auch Singen will gelernt sein. Dann wurden wir durch mehrere Gänge zur Kirche geführt und standen stumm vor den aufgeschlagenen Brevi e ren, bis die Vesper vorbei war.
Wer den ganzen Tag auf den Beinen verbringt, liebt nicht das bloße Herumst e hen. Bald tat mir alles weh, und die verschmähte Kirchbank vor dem Gitter schien plötzlich sehr attraktiv. Vielleicht war das Arrangement, die Pilger dra u ßen zu lassen, gar nicht so verkehrt. Aber ich hielt aus, und wir wurden ins R e fektorium geführt. Weiße Tischtücher, feines Besteck, Wein- und Wasserkara f fen in großer Menge. Die Gäste waren vorläufig noch unter sich. Ich suchte mir eine, wie es mir schien, unbedenkliche Stelle, doch wurde sogleich zur Ordnung gerufen. Ein Herr aus Luxemburg
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