Bis ans Ende der Welt - Oskar und Mathilda ; 2
wegfahren.«
Ronald von Dommel warf einen Blick auf seine schlafende Frau. »Du weißt doch, dass sie nicht Auto fahren kann.«
Mathilda hob die Schultern. »Ist ja nur für den Notfall. Wenn wirklich Gefahr droht, kann sie es ja möglicherweise doch.«
Ihr Vater überlegte einen Moment.
»Vielleicht hast du recht«, meinte er schließlich und legte seiner Tochter den Autoschlüssel in die Hand. »Aber du verriegelst auf jeden Fall die Tür«, fügte er mahnend hinzu.
Mathilda nickte eifrig. »Klar, mach ich.«
Sie wartete, bis ihr Vater ausgestiegen war und sich anschickte, Oskar zu folgen, der mit zusammengekniffenen Pobacken auf das Restaurant zustakste. Dann drückte sie den Knopf für die Zentralverriegelung und zwängte sich zwischen den Rücklehnen der Vordersitze hindurch nach vorn.
Mathilda steckte den Schlüssel ins Zündschloss und drehte ihn um eine Stufe nach rechts, bis ein Lämpchen im Armaturenbrett anzeigte, dass die Elektronik eingeschaltet war.
»Bitte wenden Sie«, sagte die Dame im Bordcomputer.
»Halt bloß die Klappe«, murmelte Mathilda und begann, an den Knöpfen zu drehen und auf ihnen herumzudrücken.
Dummerweise hatte sie nicht aufgepasst, als ihr Vater den Zielort eingestellt hatte, und ihr war klar, dass ihr nur wenig Zeit blieb, um herauszufinden, wie es ging.
»Bitte wenden Ssss…«, sagte die Dame. Sie wurde mitten im Satz abgewürgt, die Karte auf dem Monitor verschwand und das Hauptmenü wurde eingeblendet.
Mathilda wählte EIN NEUES ZIEL EINGEBEN, und eine Buchstabentastatur erschien, auf der sie nacheinander das Land, die Stadt und die Straße eingeben musste.
»Verdusselter Kackmist«, brummte sie.
Leise fluchend quetschte Mathilda sich wieder zwischen die Sitze und angelte Oskars Rucksack von der Rückbank. Zuerst durchsuchte sie die Seitenfächer, anschließend nahm sie sich jenes vor, das sich in der Innenseite der Klappe befand, und hier wurde sie auch tatsächlich fündig.
Der Brief, den sein Vater ihm aus dem Sanatorium in der Schweiz geschrieben hatte, war alles, was Oskar in diesem Fach aufbewahrte.
Hastig faltete Mathilda ihn auseinander und tippte die Adresse der Kurklinik in das Navigationsgerät: Schweiz, 2745 Latern, Am Hang 48.
Der Bordcomputer berechnete die Route neu. Dann erschien die Karte wieder und alles sah so aus wie zuvor. Der einzigeUnterschied: Bis Latern waren es nur vierhundertvierund-fünfzig Kilometer.
»Ankunft dreizehn Uhr drei«, murmelte Mathilda und grunzte zufrieden.
Blieb nur zu hoffen, dass ihr Vater nicht merkte, dass sie die Route geändert hatte.
»Bitte wenden Sie«, sagte die Dame.
Barbara von Dommel schreckte hoch und blickte sich verwirrt um.
»Machen Sie, dass Sie wegkommen, meine Tochter kriegen Sie nicht!«, blaffte sie einen jungen Mann an, der in diesem Moment mit einem kleinen Jungen auf dem Arm an ihrem Wagen vorbeilief.
»Schon gut, Mama«, sagte Mathilda und berührte sie sanft am Ellenbogen. »Es ist alles in Ordnung. Du hast bestimmt nur geträumt.«
»Wie?«, stieß ihre Mutter hervor. »Wo …?« Sie schnappte nach Luft. »Was zum Teufel machst du hinter dem Steuer?«
»Aber Mama!«, rief Mathilda.
»Jetzt behaupte bloß nicht, du hättest einen Führerschein!«
»Tu ich ja nicht. Aber du …«
»Ich kann nicht fahren«, fiel Barbara von Dommel ihr ins Wort.
»Das mein ich doch gar nicht«, sagte Mathilda. »Mama … du hast geflucht!«
»Hab ich nicht.«
»Doch, du hast zum Teufel gesagt.«
Ihre Mutter öffnete das Handschuhfach und holte ihre Kosmetiktasche heraus. »Du musst dich verhört haben«, sagte sie. »Ich fluche nie.« Barbara von Dommel klappte die Sonnenblende herunter, betrachtete sich eingehend im Schminkspiegel, zupfte ihre Frisur zurecht und zog schließlich ihre Lippen nach. »Ich wäre wirklich ein schlechtes Vorbild, wenn ich es täte«, bekräftigte sie, steckte den Lippenstift zurück und legte die Kosmetiktasche wieder ins Handschuhfach.
»Wo ist eigentlich dein Vater?«, fragte sie dann und warf einen Blick über ihre Schulter. »Und … äh, dieser Junge … Wie hieß er noch gleich?«
Mathilda starrte ihre Mutter an.
»Oskar«, sagte sie. Dabei hätte sie ihr am liebsten in den Bauch geboxt.
»Ach ja …« Barbara von Dommel nickte. »Oskar. Eigentlich gar kein so übler Name.«
»Sie sind entführt worden«, sagte Mathilda. Sie hatte gar nicht darüber nachgedacht. Es platzte so aus ihr heraus.
Ihre Mutter stutzte. »Was sagst du da?« Sie schüttelte den
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