Morland 03 - Das Vermächtnis der Magier
Inhalt
Hakon stand am Fenster des Luftschiffes und starrte fassungslos auf die Welt unter sich. Vom Führerstand der Unverwundbar aus besehen schien sie vollkommen unverändert. Der Wald, der Hügel und Berge wie ein sattgrüner Teppich bedeckte, erstreckte sich bis zum Horizont. Kraniche und Enten zogen ihre Kreise in der Luft. Die Natur, so schien es, scherte sich nicht um die von Menschen verursachte Katastrophe. Morvangar versank im Chaos. Es war der Anfang vom Ende – dieser Stadt, dieses Landes, dieses Planeten.
Nach sechstausend Jahren trügerischer Ruhe war die Magie in Gestalt einer harmlos aussehenden Blume nach Morland zurückgekehrt. Wer an ihr roch, starb entweder einen raschen Tod oder er verwandelte sich in ein Wesen, dessen körperliche und geistige Fähigkeiten durch die Infektion ins Unvorstellbare gesteigert wurden. Ihre Überlegenheit machte diese infizierten Menschen, die Eskatay, zu einer Gefahr für die ganze Welt. Sie fanden sich zu einer Verschwörergruppe zusammen, deren Anführer das Staatsoberhaupt Morlands war: Präsident Begarell. Mittels der Blumen wollte er so viele Magier erschaffen, dass der Herrschaft der Eskatay über die Menschheit nichts mehr im Wege stehen würde. Begarell strebte nach Alleinherrschaft, dessen war sich Hakon sicher.
Die Geschichte wiederholt sich, dachte er verzweifelt und klammerte sich noch fester an die Reling. Seine Beine zitterten. Schon einmal, vor sechstausend Jahren, hatte die Welt am Abgrund gestanden. Nach der Apokalypse hatte es nur Verlierer, aber keine Sieger gegeben. Die wenigen Überlebenden hatten sich für Generationen verkriechen müssen, bis die Erdoberfläche wieder bewohnbar geworden war. Als sie sich endlich hinaufgewagt hatten, war nichts mehr von der alten Welt übrig gewesen. Nur in dunklen Mythen lebte die Erinnerung an die Katastrophe fort. Hakon kannte all diese Geschichten. Vera, seine Ziehmutter, hatte sie ihm immer wieder erzählt. Die Eskatay, so hatte sie behauptet, seien die Verkörperung des Bösen. Und ein unartiger Junge wie er sei ein gefundenes Fressen für diese Unholde. Doch in Hakon hatte schon damals der Keim einer magischen Begabung geschlummert. Die Vorfahren seiner leiblichen Eltern hatten zu den Überlebenden der Apokalypse gehört. Allein das war ungeheuerlich genug! Alle hatten geglaubt, dass der Krieg auch der Magie ein Ende gemacht hatte. Doch in dem nun folgenden, Jahre währenden Winter hatten sich die Überlebenden verwandelt. Im Gegensatz zu den durch die Blumen infizierten Eskatay konnten diese Übriggebliebenen die magische Gabe an ihre Kinder weitervererben.
Hakons Talent hatte sich offenbart, als der Zirkus, in dem er aufwuchs, in Vilgrund gastiert hatte. Als er während einer Vorstellung von einem Zuschauer unlauterer Tricks bezichtigt wurde, hatte Hakons Zorn über die Verdächtigung die magische Gabe in ihm freigesetzt. Seit jenem Tag konnte er nicht nur die Gedanken anderer Menschen lesen, sondern sie auch beeinflussen. Hakon, der trotz seiner Sommersprossen und blonden, wirr abstehenden Haare schon lange nicht mehr wie ein sorgloser vierzehnjähriger Junge wirkte, hatte erst mühsam lernen müssen, seine magischen Kräfte zu beherrschen und nur in größter Not einzusetzen.
Ein Stöhnen riss ihn aus seinen Gedanken. Hakon drehte sich um. Jan Mersbeck war mit Schaum vor dem Mund zusammengebrochen. In seinen Augen war nur noch das Weiße sichtbar. Der hagere Eskatay mit den tief liegenden, dunklen Augen und dem schütteren, schwarzen Haar ging durch die Hölle, das wusste Hakon, auch ohne seine Gedanken zu lesen.
In Morvangar verwandelten sich in diesem Moment Hunderte von Menschen in Eskatay. Damit wurden sie, wie schon zuvor Mersbeck, Teil von Präsident Begarells Kollektiv. Sie alle konnten nun auf telepathischem Wege ihre Gedanken miteinander austauschen. Und das bedeutete, dass in Mersbecks Kopf gerade ein Wirrwarr unzähliger Stimmen herrschte. Ein Blick in seine flackernden Augen genügte, um zu erkennen, dass er die Kontrolle über sich selbst verloren hatte. Für einen kurzen Moment verspürte Hakon so etwas wie Mitgefühl für diesen Mann.
»Hakon?« Eine Hand legte sich auf seine Schulter. »Wir müssen eine Entscheidung treffen!« Sein Freund York sah ihn ernst an. Morten Henriksson, Paul Eliasson und Olav Lukasson, den letzten Mitgliedern einer Widerstandsgruppe, die sich »Armee der Morgenröte« nannte, stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Sie alle waren durch die
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