Bis ans Ende der Welt
Danach hab ich sie gefragt, was sie am Abend noch vorhat. Sie sagte, wenn ich das rauskriegen wollte, müsste ich sie nach Hause fahren.«
»Hast du natürlich gemacht.«
»Na ja, geht schlecht ohne Auto, ich hab sie zu Fuß begleitet.«
»Und?«
»Als wir bei ihr waren, hat sie gesagt, wenn ich Sinn für Romantik hätte, könnte ich noch mit raufkommen.«
»Du bist natürlich mitgegangen.«
»Klar. Nur war es nicht, wie ich dachte: Sie hat eine kleine Sternwarte und wir haben noch bis halb vier Sterne angesehen.«
»Ach ja, das Fernrohr.«
»Genau. Beim Gehen hab ich an der Tür noch einen Kuss gekriegt und wir haben uns für den nächsten Abend verabredet.«
»Na und dann? Seid ihr ins Bett? Jetzt erzähl schon.«
»Ich erzähle ja. Der Tag dazwischen war eine zähe Angelegenheit. Abends war ich eine halbe Stunde zu früh dran und musste noch zweimal um den Block laufen.«
»Und dann?«
»In der Wohnung habe ich eine Flasche Prosecco geköpft.«
»Die du zufällig dabeihattest.«
»Ja klar - oder hätte ich eine aus ihrem Kühlschrank nehmen sollen?«
Miriam kicherte. »Nein. Und weiter?«
»Wie und weiter?«
»Na, prost und ab unter die Bettdecke?«
»Kaum.«
»Also: Wer hat den ersten Schritt gemacht?«
»Kann man nicht so eindeutig sagen.«
Konnte man doch: Nach dem zweiten Glas hatte sie ihn aufgefordert, sich zum Anstoßen zu ihr auf die Couch zu setzen.
Und als er so neben ihr saß und nicht wusste, wie’s weitergeht, schlang sie plötzlich die Arme um ihn. Zack.
Zum Glück schien Miriams Neugier befriedigt. Erst als sie in Bondi Junction auf die U-Bahn warteten, wollte sie wissen: »Ist Kristine deine erste Freundin?«
Tja - fiese Frage, Ralf ließ sich Zeit mit der Antwort, obwohl er wusste, dass es eigentlich nichts zu überlegen gab.
»Gewissermaßen ja. Die zuvor waren nichts Ernsthaftes. Mal hier, mal da was.«
»Die zuvor« erschöpften sich in einem Mädchen im Skilager. Petra war aus der Parallelklasse und hatte ihn beim Flaschendrehen geküsst. Für eine Chance bei Guido nahm sie alle anderen in Kauf.
»Schlaft ihr miteinander?«
»Sehr diskret fragst du nicht gerade.«
»Stimmt. Aber du musst ja nicht antworten. Also?«
Das ging Miriam natürlich nichts an. Doch war Ralf ziemlich stolz darauf, dass es endlich geklappt hatte - und nicht mit irgendeinem hässlichen Entlein, sondern mit dem Traum aller Männer. Er hätte es im Fernsehen erzählt, wenn ihn jemand gefragt hätte.
»Klar.«
Machte ja jeder. Nur - so einfach war es nicht. Zwar hatte Ralf ungefähr gewusst, wie das funktioniert, logisch, aber er wollte alles wie ein Profi machen. Kristine sollte es ja nicht nur okay finden.
»Richtig guter Sex, vermute ich?«
Dann war es leider unerwartet schnell gegangen. Im Lauf der Nacht gelang es Ralf immerhin, seine Vorstellung zu verbessern, aber klar, er hatte Kristine nichts Weltbewegendes geboten. Am Morgen darauf war sie abgeflogen.
»Also, wenn du schon so direkt fragst - ja.«
»Ging so. Ich glaube, er hatte noch nie mit einer Frau geschlafen.«
»Nein!« Pam sah Kristine mit großen Augen an.
»Doch. Und er hat mindestens zehnmal gesagt, dass er mich liebt.«
»Wie romantisch! Und, liebst du ihn auch?«
»Na ja, irgendwie schon. Mal sehen, so gut kenne ich ihn ja noch nicht.«
Kristine sah eine Weile aus dem Fenster auf eine fast endlose Reihe von Geschäften, Schnellrestaurants und Tankstellen. Dann fragte sie: »Und du und John?«
»Ich hab mal in einem Fotogeschäft gearbeitet und John ist der Sohn vom Chef. So haben wir uns kennen gelernt. Jetzt sind wir drei Jahre zusammen. Wir lieben uns, denke ich.« Pam sah ebenfalls nach draußen und fragte: »Weißt du, dass Sydney von den Briten als Strafkolonie gegründet wurde?«
Kristine nickte.
»Viele Sträflinge glaubten, hinter den Blue Mountains beginne China.«
»Hinter diesen Bergen?« Kristine zeigte nach vorne. Sie fuhren auf dem Great Western Highway ins Landesinnere, der blaue Dunst über den Bergen war bereits zu sehen.
»Genau. Einige der Gefangenen brachen aus und suchten den Weg in die vermeintliche Freiheit, aber keiner kam durch. Selbst wenn sie den Weg über die Berge gefunden hätten - dahinter ist nur Steppe.«
»Wenn Sydney früher Strafkolonie war, sind die Einwohner dann Nachkommen von Sträflingen?«
»Na ja«, Pam lächelte, »eigentlich nicht. Es waren nur etwa tausend, die 1788 von Großbritannien nach Sydney verschifft wurden. Das Wachstum begann fünf Jahre später
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