Bis das der Biss uns scheidet
davon trüben und treffe törichte Entscheidungen.« Finster starrt er vor sich hin. »Magnus hat einmal gesagt, dass er lieber sterben würde als zuzulassen, dass seinen Schutzbefohlenen Schaden zugefügt wird. Ich aber habe sie mutwil ig in Gefahr gebracht, um ihm das Leben zu retten. Weil er mein . . . mein Freund ist.« Er schüttelt den Kopf. »Wie lautet das Sprich-wort doch gleich? Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde . . .«
»Jareth, bitte«, flüstere ich. »Ich weiß, dass du jetzt verzweifelt und außer dir bist. Aber du musst mit mir kommen. Wir müssen zusammenhalten. Ohne dich schaffe ich es nicht!«
Er sieht mich mit einem Blick an, der furchtbar verbittert und zugleich vol er Entschlossenheit ist. Ein kalter Schauer läuft mir den Nacken hinunter. »Tja, es wird dir nichts anderes übrig bleiben«, flüstert er heiser. »Denn du wirst mich nie wiedersehen.«
14
Fragt mich nicht, wie ich es zurück auf die Straßen von New York geschafft habe. Ich könnte es euch nicht sagen. Und fragt mich auch nicht, wie viele Tage und Nächte ich durch diese Straßen geirrt bin - schlaflos, ohne Blut - nur mit meiner Trauer und meiner Wut als Gesel schaft. Diese Stunden haben sich verloren in einem wabernden Nebel, der mich umgab. Gleichzeitig wurde mein Verstand geradezu wahnsinnig, während er all die Hättes und Wenns durchspielte, al e Varianten, die uns eine Chance auf ein Happy End ermöglicht hätten.
Doch anders als in Computerspielen gibt es im wahren Leben kein Zurück auf Anfang.
Man kann nicht vom letzten festen Punktestand aus neu starten, man kann nicht von vorn beginnen. Im wahren Leben ist meine Schwester, meine andere Hälfte, meine beste Freundin für immer verschwun-den. Und was ich auch tue, nichts wird sie zurückbringen.
Ich versuche, mich an die guten Zeiten zu erinnern, aber um ehrlich zu sein, ist es viel leichter, an die schlechten zu denken. An al die Male, die ich sie im Stich gelassen habe.
Ihr Leben durcheinandergebracht habe.
Nicht da gewesen bin, wenn sie mich brauchte. Jener erste Abend im Club Fang läuft in einer Endlosschleife durch meinen Kopf. Wenn ich sie nur nicht dort hingeschleppt hätte. Wenn ich sie nur nicht dazu gebracht hätte, dieses blöde Shirt mit dem Aufdruck BITE ME zu tragen. Wenn Magnus sie nur nicht mit mir verwechselt hätte.
Würde sie dann jetzt noch leben? Das glückliche, normale, sorglose Leben führen, das sie verdient hatte?
Wie soll ich es bloß Mom beibringen? Und Heather? Und Stormy? Wie sol ich nach Vegas zurückkehren und mich Slayer Inc.
und Vizepräsident Teifert stel en? Werden sie davon erfahren, dass ich Bertha getötet habe? Werden sie gezwungen sein, gebunden an Pyrus' Befehl, mich mittels meiner Nanos hinzurichten? Und was noch viel entscheidender ist: Würde mir das überhaupt noch etwas ausmachen? Was habe ich denn noch, wofür es sich lohnen würde weiterzuleben? Sunny ist tot. Jareth hat mich für immer verlassen.
Mein Magen fühlt sich an, als wäre er mit rostigem Stacheldraht umwickelt. Vage wird mir bewusst, dass ich seit Tagen nichts gegessen habe. Der Hunger trübt mir die Sicht, als ich ziel os durch Manhattans Lower Fast Side wandere. Um diese Zeit sind nur noch wenige Menschen unterwegs. Nur noch solche, die von kaum jemandem vermisst werden würden, wenn eine traurige Untote sie zum Abendessen aussaugen würde.
Ich schüttele den Kopf. Nein. Das darf Ich nicht. Diese Leute sehen viel eicht herunter-gekommen und verloren aus, aber ich sehe wahrscheinlich gerade auch nicht anders aus! Sie haben Pech gehabt im Leben, aber sie haben immer noch Brüder und Schwestern und Mütter und Väter. Wer bin ich, sie den Menschen wegzunehmen, die sie lieben, nur um meine elende Leere zu fül en?
Trotzdem meldet sich eine leise Stimme in mir: Warum sol ten sie verschont bleiben, wenn meine Schwester auch nicht verschont wurde? Diese Typen sind Unberührbare – Drogendealer, Mörder, Alkoholiker, Kinderschänder-, der Abschaum. Warum sollten sie unbehel igt durch die Straßen laufen, dem Gesetz eine lange Nase drehen und Unschuldigen Böses tun dürfen? Warum sollten sie leben dürfen während meine arme Schwester sterben musste?
Im Halbdunkel sehe ich, wie eine spärlich bekleidete Frau in die Gasse gestolpert kommt. Mit der Hand umklammert sie eine Flasche, die in einer braunen Papiertüte steckt. Offenbar eine Prostituierte. Ich beobachte, wie sie einen Schluck aus ihrer Flasche nimmt, dann torkelnd hinfäl t und
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