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Bis das der Biss uns scheidet

Bis das der Biss uns scheidet

Titel: Bis das der Biss uns scheidet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mari Mancusi
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als ich sie in die Arme nehme und sie sanft hin und her wiege, während mir blutige Tränen über die Wangen strömen. »So kalt.«
    »Es wird al es gut«, tröste ich sie, aber im Grunde meines Herzens weiß ich, dass nichts gut werden wird. Das Gift wird sie mir nehmen, genauso wie es uns unseren Vater genommen hat.
    Und das al es meine Schuld.
    »Rayne...«, stößt sie hervor und ich merke, dass es sie große Anstrengung kostet.
    »Rayne . . .«
    »Still. . .«, beruhige ich sie. »Bleib ganz stil .«
    »Du bist die beste Schwester, die man sich wünschen kann. Ich hab dich lieb«, wispert Sunny, bevor sie die Augen schließt. Ich beobachte entsetzt, wie sie ihren letzten Atemzug tut und ihr Körper in meinen Armen erschlafft.
    »Nein!«, schreie ich und versuche, sie wach zu rütteln. »Sunny! Bleib bei mir!« Doch noch während ich schreie und sie schüttele, weiß ich, dass es zwecklos ist.
    Meine Schwester. Meine schöne, unschuldige, süße Zwil ingsschwester ist tot.
    Für immer. Und ich kann nichts tun, um sie wieder lebendig zu machen.

13
    Ich kann euch nicht sagen, wie lange ich da in dem dunklen, feuvhten verlassenen U-Bahn-Schacht unter dem Pflaster von New York City gesessen habe, den leblosen Körper meiner Schwester im Schoß. Ich kann euch nur sagen, dass ich zuerst nicht viel geweint habe. Ich wol te zwar, aber aus irgendeinem Grund weigerte sich das Schluchzen, aus meinem kältestarren Körper hervorzubrechen. So sah ich vor al em ins Leere, in die Dunkelheit, betäubt von überwältigender Trauer und der Frage wann ich endlich aufwachen und merken würde, dass das alles nur ein schrecklicher Albtraum gewesen war. Meine Schwester konnte nicht wirklich tot sein. Weil sie nicht tot sein durfte.
    Diese Geschichte durfte so nicht enden, konnte ohne Sunny nicht weitergehen. Ich hätte meine Schwester retten sol en, damit wir zusammen glücklich bis ans Ende unserer Tage weiterleben konnten. Ich meine, wer wil schon eine Geschichte lesen oder einen Film sehen, in dem die Heldin wegen einer Tat, die sie nicht begangen hat, einen furchtbaren Tod stirbt? So läuft das nicht in Hollywood.
    Aber dummerweise im wirklichen Leben, wie ich vor Schock erstarrt feststellen muss.
    Irgendwann schaffe ich es, mich auf die Beine zu hieven, weil mir langsam bewusst wird, dass auch jetzt nicht al es egal ist, auch wenn es mir im Moment so vorkommt.
    Haben Jareth und Magnus den Angriff überlebt? Wahrscheinlich sind sie schon halb verrückt vor Sorge und fragen sich, wo wir sind. Ich muss ihnen berichten, was passiert Fal s sie überhaupt noch existieren. Mein Magen kommt hoch und ich bücke mich, um das Rattenblut auszuspucken, das ich erst vor einer Stunde getrunken habe. Wahnsinn, wie eine einzige Stunde das ganze Leben verändern kann.
    Ich möchte Sunny mitnehmen. Ich wil ihren leblosen Körper nicht hier zurücklassen, auf die Gleise drapiert, eine Gourmet-Mahlzeit für irgendwelche U-Bahn-Ratten. Aber sosehr ich mich auch anstrenge, ich schaffe es nicht, ihren toten Körper zu schleppen.
    Vor allem nicht durch diese Kriechröhre, durch die wir gekommen sind. Kennt jemand diesen alten Popsong aus den Sechzigern: »He's not heavy, he's my brother«? Also, entweder hatte der Typ einen echt magersüchtigen Bruder oder er ging deutlich öfter als ich ins Fitnessstudio um die Ecke.
    Zum Schluss gebe ich es auf und beschließe, Sunny zu dem eingestürzten Tunnelabschnittzu zerren und ihre Leiche, so gut es geht, mit Steinen und Schutt zu bedecken. Das bestmögliche Begräbnis, das ich ihr unter den gegebenen Umständen bieten kann.
    »Lieber Gott«, murmele ich, als ich fertig bin und vor dem kleinen Hügel knie. Ich bin nicht sehr religiös, wie ihr euch denken könnt.
    Außerdem - machen wir uns nichts vor -,Gott steht wahrscheinlich auch nicht besonders auf Vamp re. Aber um Sunnys willen versuche ich trotzdem zu beten. »Bitte behüte meine Schwester«, flüstere ich, während die Tränen nun ungehindert über die Wangen strömen. »Das hier hat sie wirklich nicht verdient.«
    Mehr kann ich nicht sagen. Der Kloß in meinem Hals ist zu groß. Also stehe ich auf und krabbele langsam durch den Tunnel zurück, durch den wir gekommen sind.
    Während ich vorankrieche und mich nicht länger darum schere , ob die Decke über mir einstürzen könnte, bete ich in meiner Ver-wirrung und Trauer nur darum, dass Jareth am anderen Ende auf mich wartet. Denn sonst weiß ich wirklich nicht, wie ich mit al dem fertig werden

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