Bis Das Feuer Die Nacht Erhellt
rief Rixon mir über das Getöse unserer Zuschauer hinweg zu, die für Patch klatschten und pfiffen.
Patch lehnte sich gegen den Stand und zog vielsagend die Augenbrauen hoch: Zahltag.
»Du hast Glück gehabt«, sagte ich.
»Ich werde erst noch Glück haben.«
»Such dir einen Preis aus«, bellte der alte Mann, der den Stand betrieb, und bückte sich, um die Kegel aufzuheben.
»Den lila Bären«, sagte Patch, und nahm den grässlich aussehenden Teddybären mit mattlilafarbenem Fell in Empfang. Er hielt ihn mir hin.
»Für mich?«, sagte ich und presste eine Hand auf mein Herz.
»Du magst doch Ausschussware. Im Supermarkt nimmst du immer die verbeulten Dosen. Ich hab aufgepasst.« Er hakte seinen Finger in den Bund meiner Jeans und zog mich an sich. »Lass uns von hier verschwinden.«
»Was hast du vor?«, fragte ich. Aber innerlich war ich ganz warm und flatterig, weil ich genau wusste, was er vorhatte.
»Deine Wohnung.«
Ich schüttelte den Kopf. »Geht nicht. Meine Mutter ist zu Hause. Wir könnten ja mal zu dir gehen«, sagte ich betont gleichgültig.
Wir waren jetzt seit zwei Monaten zusammen, und ich wusste immer noch nicht, wo Patch wohnte. Und das nicht, weil ich nicht versucht hätte, es herauszufinden. Normalerweise hätten zwei Wochen reichen müssen, um eingeladen zu werden, besonders da Patch allein wohnte. Zwei Monate waren entschieden übertrieben. Ich versuchte zwar, mich in Geduld
zu üben, aber meine Neugier sabotierte das regelmäßig. Ich wusste überhaupt nichts über die privaten, intimen Details von Patchs Leben, wie zum Beispiel die Farbe an seinen Wänden. Ob sein Dosenöffner elektrisch oder manuell funktionierte. Die Marke seines Duschgels. Ob seine Bettwäsche aus Baumwolle war oder aus Seide.
»Lass mich raten«, sagte ich. »Du lebst in einem geheimen Lager, das irgendwo tief in den Schatten der Stadt vergraben liegt.«
»Engelchen!«
»Liegt Geschirr in der Spüle? Schmutzige Unterwäsche auf dem Boden? Es ist alles bestimmt viel geheimer und persönlicher als in meiner Wohnung.«
»Das stimmt, aber die Antwort ist immer noch nein.«
»Hat Rixon deine Wohnung gesehen?«
»Rixon gehört zum engsten Kreis.«
»Und ich nicht?«
Sein Mundwinkel zuckte. »Zum engsten Kreis zu gehören hat eine Schattenseite.«
»Wenn du es mir zeigen würdest, dann müsstest du mich töten?«, riet ich.
Er legte seine Arme um mich und küsste meine Stirn.
»Fast. Wann musst du zu Hause sein?«
»Zehn. Morgen geht der Ferienkurs los.« Das, und außerdem hatte meine Mutter es praktisch zu ihrem Zweitjob gemacht, einen Keil zwischen mich und Patch zu treiben. Wenn ich mit Vee unterwegs gewesen wäre, dann hätte ich mit Sicherheit noch bis halb elf unterwegs sein dürfen. Ich konnte es meiner Mutter noch nicht einmal übelnehmen, dass sie Patch nicht traute – es hatte eine Zeit in meinem Leben gegeben, da war es mir ähnlich ergangen –, aber es wäre doch extrem günstig gewesen, wenn ihre Wachsamkeit ab und zu einmal nachgelassen hätte.
Wie heute zum Beispiel. Außerdem würde nichts passieren. Nicht, wenn mein Schutzengel nur Zentimeter von mir entfernt war.
Patch sah auf die Uhr. »Zeit zu gehen.«
Vier Minuten nach zehn wendete Patch vor dem Farmhaus und parkte am Briefkasten. Er stellte den Motor ab und machte die Scheinwerfer aus, womit wir allein waren in der dunklen Landschaft. So saßen wir ein paar Augenblicke, bevor er sagte: »Warum so still, Engelchen?«
Ich tauchte sofort wieder aus meinen Grübeleien auf. »Bin ich still? Nur in Gedanken.«
Ein kaum wahrnehmbares Lächeln spielte um Patchs Mund. »Lügnerin. Was ist los?«
»Du bist gut«, sagte ich.
Sein Lächeln wurde ein bisschen breiter. »Richtig gut.«
»Ich habe Marcie Millar am Hamburgerstand getroffen«, gestand ich. So viel dazu, dass ich meine Sorgen für mich behalten wollte. Offensichtlich schwelten sie immer noch unter der Oberfläche. Andererseits: Wenn ich nicht mit Patch reden konnte, mit wem dann? Vor zwei Monaten bestand unsere Beziehung vor allem aus spontanem Küssen im Auto, neben unseren Autos, auf der Tribüne und auf dem Küchentisch. Wandernde Hände, wirre Haare und verwischter Lipgloss. Aber jetzt war da so viel mehr. Ich fühlte mich Patch gefühlsmäßig verbunden. Seine Freundschaft bedeutete mir mehr als hundert zufällige Bekanntschaften. Als mein Vater gestorben war, hatte er eine gewaltige Leere in mir hinterlassen, die drohte, mich von innen aufzufressen. Die Leere war immer
Weitere Kostenlose Bücher