Bis dein Zorn sich legt
immer zuverlässig. Immer. Und dann kommen sie her und …«
Seine Hand fiel wie zum Abschluss dieses Satzes auf die Tischplatte. Vera, die es sich unter dem Tisch bequem gemacht hatte, hob den Kopf und bellte einmal.
»Warum? War dieses Flugzeug auf irgendeine Weise etwas Besonderes?«
»Das weiß ich nicht. Das müssen Sie mir glauben. Jetzt habe ich alles erzählt, was ich weiß. Glauben Sie, die Krekulas könnten etwas mit Wilmas Tod zu tun haben?«
»Glauben Sie das?«
Ihm traten Tränen in die Augen.
»Ich hätte ihr niemals etwas sagen dürfen. Ich wollte mich wohl nur wichtig machen. Es sollte ihr Freude machen, mit mir zu reden. Man ist doch sonst immer so verdammt allein. Das alles war meine Schuld.«
Auf der Vortreppe holte Rebecka tief Luft.
Die Menschen können einem leid tun, dachte sie. Ich will nicht einsam sterben.
Sie sah Vera an, die erwartungsvoll beim Auto stand.
Hund reicht nicht, dachte sie.
Sie schaltete ihr Telefon ein. Es war zehn nach sieben. Keine Nachrichten, keine Anrufe in Abwesenheit.
Dann scheiß drauf, dachte sie an Måns gerichtet. Fick doch eine andere, wenn du willst.
ICH SITZE AUF Hjalmar Krekulas Fensterbank. Sehe ihn an, als er mit einem Ruck aufwacht. In ihm pocht die Unruhe. Die Unruhe ist sehnig und hat harte Fingerknöchel, wie Papa Isak. Die Unruhe hat den Ledergürtel aus den Schlaufen gezogen.
Er schläft jetzt viel. Er ist müde. Schafft nichts mehr. Aber sein Schlaf ist leicht und unzuverlässig. Die Unruhe jagt ihn hoch. Meistens so um drei, vier Uhr nachts. Nachts ist es jetzt hell. Er verflucht das Licht und sagt, es liege daran, aber er weiß schon. Sein Herz hämmert. Manchmal hat er Angst, wirklich sterben zu müssen. Obwohl er sich so langsam daran gewöhnt. Weiß, dass sein Herz sich nach einer Weile beruhigen wird.
Was für eine Vorstellung, dass ich selbst nie wieder schlafen werde.
Manchmal träumt er von mir. Wie ich unter dem Eis mit dem Messer das Loch gehackt habe. Er träumt vom Wasser, das durch das Loch strömte, als ich meine Hand hochhielt. Im Traum kommt immer nur noch mehr Wasser, und er ertrinkt darin. Wacht auf und schnappt nach Luft.
Ab und zu träumt er, dass meine Hand sich stahlhart um seine schließt und dass ich ihn nach unten ziehe.
Er träumt von dünnem Eis. Eis, das unter ihm birst. Schwarzem Wasser.
Er hat sich nicht mehr im Griff. Wie er bei meiner Beerdigung ausgesehen hat. Ungewaschen, mit fettigen Haaren.
Hjalmar Krekula sah auf die Uhr in seinem Telefondisplay. Zehn nach sieben. Er hätte schon längst bei der Arbeit sein müssen. Aber Tore hat auch nicht angerufen und gefragt, wo zum Teufel er denn bleibt.
Man könnte vielleicht einen Tag freibekommen, wenn man mitgeholfen hat … nein, er verdrängte alle Bilder und Gedanken an Hjörleifur Arnarson. So unnötig. So verdammt unnötig das alles.
Ich bin daran gewöhnt, nach Tores Pfeife zu tanzen, dachte er. Zuerst wurde ich dazu gezwungen. Dann ist es zur Gewohnheit geworden. Das war wohl, nachdem wir uns im Wald verirrt hatten. Ich habe aufgehört, selbst zu denken. Zu fühlen. Habe einfach nur getan, was man mir gesagt hat.
Es ist Oktober 1957. Ein Samstag. Die älteren Jungen aus dem Ort wollen draußen auf dem Eis Hockey spielen.
Tore bittet Papa Isak, dabei zusehen zu dürfen. Das darf er. Er nimmt seinen Hockeyschläger und geht los. Hjalmar will auch hin, muss aber zuerst Holz und Wasser zur Sauna am Seeufer tragen. Isak heizt mächtig in der Sauna ein. An diesem Abend soll gebadet werden. Er hat beim Steg ein Loch gesägt, damit Hjalmar das Wasser zu dem großen, mit Holz befeuerten Kessel bringen kann.
Hjalmar schleppt. Tore muss das nicht, obwohl er seit diesem Herbst in die Schule geht. Am ersten Schultag hat Papa Isak Hjalmar am Ohr genommen und gesagt: »Und du kümmerst dich gefälligst um deinen Bruder, kapiert?«
Das Geschehnis im Wald ist ein gutes Jahr her. Noch immer erhält Tore Briefe und Pakete, wenn auch natürlich seltener. Die neue Schultasche hat er von dem Stockholmer Waldwanderverein geschenkt bekommen.
Hjalmar kümmert sich um Tore. Das bedeutet, dass Tore große Macht über gleichaltrige und auch über ältere Mitschüler gewinnt. Tore nimmt ihnen Geld ab, droht, schlägt und entscheidet, welcher von den Klassenkameraden nach Schulschluss regelmäßig Prügel bezieht. Er entscheidet sich für einen schmächtigen Jungen mit Brille, der Alvar heißt. Wenn sich jemand widersetzt oder gar zurückschlägt, ruft Tore Hjalmar
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