Bis einer weint! - 20 böse Ratschläge für gute Menschen (German Edition)
freispricht, etwas zu tun? Mitleid ist immer angenehm im Angesicht des tragischen Zustandes und der Vorstellung, etwas tun zu müssen. Das Wort Mit-Leiden sollten wir uns genauer ansehen. Es beinhaltet Teilnahme und Übereinkunft: Sie, als Mitleider, gehören jetzt auch zum Clan der Leidenden. Von Veränderung hat keiner was gesagt. Aber das ist ja das perfide an Mitleid.
Je mehr man davon bekommt, umso mehr denkt man, dass man es verdient hat. Und wer sich etwas verdient hat, der kann sich schließlich zurücklehnen und erst mal nichts tun, nicht wahr?
Das ist das eigentliche Ziel der großen Mitleidssucher. Sie wollen bestätigt bekommen, dass sie sich in einer ganz und gar ausweglosen Situation befinden, aus der sie nicht herauskommen. Und dafür brauchen sie Sie!
Nun denken Sie: Ja, Mitleid kann ich ja mal spenden, aber noch etwas anderes setzt ein: Wer Mitleid spendet, spendet Mitleid und sonst erst mal nichts … Klingelt´s? Irgendwann setzt der Kater derer ein, denen Sie Mitleid gaben, denn geändert hat sich an ihrer Situation natürlich noch nichts.
Was also tun? Irgendjemand muss doch schuld sein an der ganzen Misere. Raten Sie mal, wer denen dann als Erstes einfällt? Und wieso fällt jetzt erst mal der erste Verdacht auf Sie?Sie haben den Mitleidsuchern bestätigt, dass Sie sich richtig verhalten. Damit haben Sie das uneinlösbare Versprechen gegeben, dass die Situation besser wird. Was aber natürlich nicht in Ihrer Macht liegt.
Leiden ist leichter als handeln. Das ist der ganze Sinn der Aktion, sobald Mitleidsucher jemanden gefunden haben, der ihnen ihre Situation bestätigt, sind Sie als vermeintlicher Rettungsengel nur noch Wasserträger und Alibi, um nichts an der Situation zu verändern.
Leiden kostet schließlich auch Kraft! Aber der Preis bleibt natürlich bestehen und am Ende wird man Sie dafür verantwortlich machen, dass Sie keinen Pusch gegeben haben, sondern nur süße Worte.
Wir danken denen, die uns fordern und strafen. Wir vergessen jene, die uns verstanden.
Kennen Sie das, wenn alte Leute an Lehrer zurückdenken und ihnen zuerst die einfallen, die am strengsten waren? Mit einem seligen Lächeln wird dann davon geschwärmt, was man alles bei diesen Quälgeistern gelernt habe. An die netten Lehrer erinnert sich niemand. Nur das, was verändert, bleibt in Erinnerung! Mitleid verändert nichts. Es bestätigt Qualen, die heute kaum einer haben muss.
Mitleid muss heute sehr sparsam und genau eingesetzt werden, wenn Sie damit helfen wollen. Denn wir lieben es, zu leiden. Es macht uns zu Königen der Aufmerksamkeit: Wir werden zu Drama Queens und haben einen Moment das Gefühl, wichtig zu sein. Und das Schönste ist ja, dass nur eines dem Leiden am nahesten ist: Der Stolz. Wer leidet, hat Stolz! Und mit nichts können Sie Menschen mehr Stolz nehmen, als wenn Sie kübelweise Mitleid ausschütten.
Böser Ratschlag Nr. 8: Lassen Sie Menschen leiden! Leiden ist leichter, als handeln. Leiden ist eine versteckte Form von Stolzdemonstration. Vergessen Sie das nie! Wer gerne leidet, scheut die Arbeit und liebt die Pose. Akzeptieren Sie das. Deshalb: Mitleid immer so wie Geld einsetzen. Gut überlegen, wem man es gibt und was dieser damit anstellt. Sie wollen schließlich nicht irgendwo hineingezogen werden!
9. SAGEN SIE NIEMAND, WIE SCHLECHT ES IHNEN GEHT!
Das ist natürlich bitter!
Modernes Deutsches Mitleidsbekenntnis
In einem Buch über die bitteren Lehren des Lebens darf natürlich ein Ratschlag von Franz Kafka nicht fehlen. Sie kennen ihn natürlich als Käfermeister und gnadenvollen Sezierer der deutschen Bürokratie, aber einer seiner kürzesten Texte fasst so ziemlich alles zusammen, was er über die Menschen sagen konnte. Lesen und schweigen Sie mit mir, denn ich glaube, es ist selten Wahreres in weniger Worten gesagt worden:
Kleine Fabel
„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“
„Du musst nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie.
Aus Franz Kafka: Ein Landarzt und andere Prosa.
Uff! Hätte die Maus vielleicht besser ihren Mund gehalten? Hätte es etwas an ihrer Situation geändert? Vermutlich nicht, aber so
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