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Bis einer weint! - 20 böse Ratschläge für gute Menschen (German Edition)

Bis einer weint! - 20 böse Ratschläge für gute Menschen (German Edition)

Titel: Bis einer weint! - 20 böse Ratschläge für gute Menschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arian Devell
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plaudert, der gilt als oberflächlich und klatschsüchtig. Etwas Verstocktes, Ängstliches breitet sich in den Büroräumen aus, und man merkt es erst, wenn man darauf achtet, wie wenig wirklich geplaudert und erzählt wird.
    Das war nicht immer so. Es gab ein Hoch dieser zwischenmenschlichen Kommunikation: Wieder mal waren die Siebziger Schuld. Seit 1970 bis ca. 2002 hat man einen erhöhten Diskussionsbedarf in großen Firmen und mittelständischen Betrieben festgestellt.
    Im Klartext: Die Leute quasselten sich den Mund fusselig. Aber dann, wie durch einen radikalen Schnitt: Ein Abfall auf das Niveau der Fünfziger Jahre, in denen züchtige Sekretärinnen schweigend und klappernd an Schreibmaschinen saßen. „Wir reden kaum mehr miteinander!“, hören viele Betriebspsychologen heute als den meistgenannten Grund für Burn-outs. Es gibt bis heute keine Erklärung für diese Veränderung. Man kann nur spekulieren: Zum einen wird es an der schlechten Wirtschaftslage liegen und der Angst vor dem Jobverlust. Wenn man nicht anzeigt, dass man hundert Prozent gibt, ist man „Weg vom Fenster!“. Zum anderen könnte es an einem „Rückzug ins Private“ liegen, den Soziologen seit einigen Jahren beschreiben. Es könnte aber auch noch einen anderen Grund geben: Wir leben immer mehr in virtuellen sozialen Netzwerken: Die gigantischen Nutzerzahlen suggerieren, dass Menschen sich dort lieber austauschen als in ihren herkömmlichen Sozialräumen. Tatsächlich hat die durchschnittliche Gesprächslänge bei Mitarbeitergesprächen und psychologischen Beratungen in den letzten Jahren konstant abgenommen. Die Menschen beschränken sich auf das Nötigste, denn sie wissen im Prinzip, was man von ihnen erwartet. Und das ist auch ein bisschen langweilig!
    Auf der anderen Seite hat man soziale Auswüchse im Internet beobachtet, die man nur mit wilden Mobbingpartys und wüsten Chatorgien beschreiben kann.
    Der durchschnittliche Deutsche verbringt pro Tag fünf Stunden vor dem Bildschirm zu Unterhaltungszwecken. Das ist eine monströse Zahl. Wenn Sie sieben bis acht Stunden schlafen und sechs Stunden arbeiten (und das sind gute Zahlen), dann haben Sie fünf Stunden für den Rest. Essen, Pflege, Fahrtzeiten, Familie und andere Hobbys. Verlernen wir vor dem Bildschirm das Reden?
    Zumindest die meisten Studien legen nah, dass die Sprach- und Lesekompetenz in den letzten zwanzig Jahren massiv abgenommen hat. Reden wir hier nicht über den albernen PISA-Schock, der eine schöne Horrormeldung war, über die sich jeder aufregen konnte. Und die wurde sogar noch veröffentlicht.
    2012 macht man das nicht mehr: Eine Studie an Deutschlands Hochschulen, die die Lese- und Rechtschreibkompetenz der Studenten untersuchte, wird unter Verschluss gehalten, weil die Ergebnisse so katastrophal sind. Was hat dies nun alles mit dem Plaudern zu tun? Es geht um Sprache. Wir benötigen weniger Sprache im Alltag, und wenn sich jemand ihrer bemächtigt, ohne einen triftigen Grund zu haben, dann sorgt er einfach für Irritation.
    Geplaudert wird zuhause, und zwar am Laptop. Ein anderer Grund könnte auch sein, dass die Plauderei schon immer den Ruf des Oberflächlichen, des Abgeschmackten, des Klatschenden hatte. Dumm nur, dass wir eigentlich alle gerne mal ein bisschen plaudern. Es ist doch das Salz in der Suppe des grauen Alltags. Wie auch immer, es gibt keine Erklärung für die Stille, die sich plötzlich überall durchsetzt.
    Als Trost möchte ich Sie auf die Wonnen der Sprache zurückbringen und zugleich zeigen, dass die Plauderei schon vor zweihundert Jahren spöttisch betrachtet wurde. Lesen wir ein Gedicht von Heinrich Heine:
    Sie saßen und tranken am Tisch
    Und sprachen von Liebe viel.
    Die Herren, die waren ästhetisch,
    Die Damen von zartem Gefühl
     
    Die Liebe muss platonisch sein,
    Der dürre Hofrat sprach.
    Die Hofrätin lächelt ironisch,
    Und dennoch seufzet sie: ach!
     
    Der Domherr öffnet den weit:
    Die Liebe sei nicht zu roh,
    Sie schadet sonst der Gesundheit.
    Das Fräulein lispelt: Wieso?
     
    Die Gräfin spricht wehmütig:
    Die Liebe ist eine Passion!
    Und präsentieret gütig
    Die Tasse dem Herren Baron.
     
    Am Tische war noch ein Plätzchen
    Mein Liebchen, da hast du gefehlt.
    Du hättest so hübsch, mein Schätzchen,
    Von deiner Liebe erzählt.
     
     
    Das Gedicht ist von 1827. Schon damals wurde das Gespräch, die Plauderei spöttisch, ja sogar mitleidig betrachtet. Wer plaudert, hat immer die Aura des leichten Snobismus um sich.

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