Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
vorsichtig zu mir hoch. »Na los, du schaffst das.«
»Ich kann nicht …«
»Doch, du kannst. Komm, mach …«
Ich zog wieder an ihrer Hand, diesmal fester. Auch wenn sie sich anfangs sträubte, merkte sie schnell, dass es Anstrengung bedeutete, dort zu bleiben, wo sie war, und in ihrem Zustand – vollkommen high und hundeelend – war Anstrengung das Letzte, was sie wollte. Also gab sie mir nach.
»Okay, okay …«, murmelte sie und rutschte nach vorn. »Lass mich nur … warte … lass mal kurz los, ja?«
Ihre Koordination reichte nicht weit, und als ich ihre Hand losließ, kippte sie schlapp zur Seite, aber schließlich wälzte sie sich doch irgendwie übers Bett und kroch nach vorn, bis sie die Beine vorziehen und sich schwankend auf die Bettkante setzen konnte.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich sie.
»Seh ich so aus?«
Ich lächelte und streckte ihr die Hände entgegen.
Sie sah zu mir hoch. »Kann ich nicht einfach sitzen bleiben?«
Ich schüttelte den Kopf.
Sie seufzte schwer, wischte sich den Schweiß von der Stirn, dann fasste sie nach meinen Händen. »Aber zieh mich nicht hoch, ja? Du … keine Ahnung. Hilf mir einfach.«
»Okay.« Ich schaute sie an. »Bist du so weit?«
Sie nickte, holte Luft, griff meine Hände fester und stemmte sich vom Bett hoch. Sofort stürzte sie, doch als ihre Beine nachgaben und sie zur Seite kippte, griff ich nach unten und fasste ihr gerade noch rechtzeitig um die Taille. Sie lehnte sich an mich, als ich ihr half, sich aufzurichten, legte ihre Hände auf meine Schultern, um sich abzustützen, und kurz darauf fand sie das Gleichgewicht wieder.
Eine Weile standen wir nur da – ihre Hände auf meinen Schultern, meine Hände um ihre Taille –, und während sie sich darauf konzentrierte, wieder Luft zu bekommen, studierte ich in dem flackernden Licht ihr Gesicht. Inzwischen sah sie ein bisschen besser aus. Ihre Haut war nicht mehr ganz so bleich und die Augen hatten – auch wenn sie noch immer sehr schläfrig wirkten – ansatzweise wieder etwas Menschliches.
»John, stimmt’s?«, sagte sie und sah mich an.
»Ja. John Craine.«
»Hast du mal ’ne Zigarette, John?«
Ich zog die Schachtel heraus, zündete eine an und reichte sie ihr.
»Danke«, sagte sie, nahm einen Zug und blies den Rauch aus. »Und was jetzt, John Craine?«
»Wir laufen.«
»Wohin?«
»Nirgendwohin.«
Die nächsten zwanzig Minuten oder so lief ich mit Robyn im Wohnwagen auf und ab und redete die ganze Zeit auf sie ein. Es gab nicht viel zu laufen, nur den Hauptwohnraum, der ohnehin sehr beengt und vollgestellt war, und dann noch eine Ecke hinter einer kleinen Trennwand, die wohl als Küche diente. Dort befanden sich ein Waschbecken, ein beschissener kleiner Kocher, ein paar Schränke … aber vor allem war der Raum zugemüllt mit irgendwelchem Mist –Kartons, Kisten, Flaschen, Mänteln, Stiefeln, Zeitschriftenstapeln … An der Rückwand des Küchenbereichs führte eine Falttür zu einer winzigen Kabine mit einem stinkenden Chemieklo.
Es war ein erbärmlicher Ort – kalt, schmierig, klebrig, trist –, alles roch deprimierend nach Lebensverachtung. Sie steckte überall, in der Luft, im Wesen der Dinge, und nachdem ich zigmal durch den Wohnwagen gelaufen war, wusste ich genau, was für ein Leben Stevie führte. Ich hatte den Schmutz gesehen, das Elend, die Verwahrlosung … ich hatte die Stapel geschmuggelter Zigaretten gesehen, seine Softporno-Bikerhefte, seine Hardcore-Wichsblätter, seine Waffenzeitschriften … ich hatte sein Gewehr gesehen, das in der Küche an der Wand lehnte, und im Klo seine Kisten mit Alkohol – Bier, Whisky, Schnaps, Cider … Ich hatte auch seine Drogenutensilien gesehen, die verstreut auf einem wackeligen Holztisch an der Wand herumlagen – Waage, Löffel, Plastiktütchen, Folie, Strohhalme, Spritzen … der ganze Mist. Es gab auch jede Menge leere Folien auf dem Tisch, einige noch mit ein paar Krümeln Kokain oder Speed drin, aber nirgends sah ich ein Anzeichen von Heroin. Auf dem Boden unter dem Tisch stand jedoch ein ramponierter alter Stahltresor, zu dem Robyn immer wieder sehnsüchtig hinschaute, deshalb nahm ich an, dass Stevie dort seinen Geheimvorrat lagerte.
»Nimmt er viel?«, fragte ich Robyn, als wir den Küchenbereich wieder verließen.
»Hä?«
»Stevie … nimmt er viel selbst oder dealt er nur?«
»Wo ist er?«, fragte sie. »Wo ist er hin?«
»Keine Ahnung. Drückt er selbst?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er steht auf Speed
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