Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
anzusehen, ihm zuzuhören … Ich konnte nicht verstehen, was er sagte. Ich sah, wie sich Robyns Lippen bewegten, wie sie irgendwas murmelte, während sie versuchte, den Blick auf Stevies Gesicht zu fixieren, und ich sah auch, wie sie sich abmühte zu nicken, ihm zuzunicken, doch sie schaffte nicht mal das, und als ihr Kopf zur Seite sank und sich ihre Augenlider wieder schlossen, fasste Stevie sie an den Schultern und drückte ihren Körper aufs Bett nieder. Einen Moment stand er da und schaute nur auf sie herab, das Gesicht vollkommen leer, dann drehte er sich um und ging nach links. Ich trat schnell vom Fenster zurück, hielt wieder den Atem an, als er vorbeilief und erneut aus meinem Blickfeld verschwand.
Ich wartete …
Der Boden zu meinen Füßen hatte sich inzwischen mit Wasser vollgesogen, der Regen klatschte geräuschvoll in den stinkenden Schlamm. Die matschigen Rinnsale und immergrößer werdenden Pfützen um mich herum waren mit schmutzig grauem Schaum bedeckt und von einem öligen Benzinschimmer durchzogen. Reumütig lächelte ich in mich hinein und erinnerte mich an Stacys Stimme. Fahr irgendwohin, wo es schön ist , hatte sie gesagt, und versuch das Ganze zu vergessen. Wer weiß … vielleicht gefällt’s dir ja sogar.
Und als ich den Kopf hob, hinauf in die silbrige Finsternis starrte und den kalten Regen in mein Gesicht stechen ließ, fragte ich mich, warum ich nicht einfach alles vergessen konnte … Stacy, meinen Vater, Robyn … Chelsey … und Mark … wieso konnte ich nicht einfach loslassen? Ich meine, egal was ich tat oder dabei war zu tun … nichts davon würde irgendeinen Unterschied machen. Wer hatte dies getan, wer das, warum, wo, wann, wie …?
Wen kümmert es? In hundert Jahren werden wir sowieso alle tot sein – Robyn, Stevie, ich … wer auch immer Chelsey umgebracht hatte – und nichts von dem, was einer von uns jetzt tut, wird noch irgendwas bedeuten. Was soll’s also? Warum also nicht einfach irgendwo hinfahren, wo es schön ist, und das Ganze zu vergessen versuchen? Wer weiß, vielleicht gefällt’s dir ja sogar …
John?
»Was ist?«
Er kommt zurück.
»Wer?«
Stevie … komm schon, John, reiß dich zusammen, verdammt noch mal. Schau hin!
Ich rieb mir die Augen und schüttelte den Kopf, um die Last des schwarzen Ortes loszuwerden, und als ich mich wieder zum Fenster umdrehte, sah ich gerade noch rechtzeitig, wie Stevie in einem langen schwarzen Regenmantel mit Kapuze zurückkam. Er warf einen kurzen Blick auf Robyn, die noch immer nichts mitbekam, dann nahm er ein Schlüsselbund und ein Handy von einem Klapptisch, ließ sie in seine Tasche gleiten und wandte sich zur Tür.
Ich löste mich vom Fenster und versuchte mich ans Ende des Wohnwagens zu verziehen. Es ging nur langsam, der schwere Schlamm klebte bei jedem Schritt an meinen Füßen, und gerade als das Licht im Wohnwagen ausging und ich spürte, wie die Tür zuschlug – die dünnen Wände des Wohnwagens zitterten von der Wucht –, versank mein rechter Fuß fast bis zum Knie im Schlamm und brachte mich schlagartig zum Stillstand. Und für einen Augenblick glaubte ich, dass ich es nicht schaffen würde. Ich zog mit aller Kraft, spannte das Bein an, bekam aber keinen Halt … ich versuchte es noch mal, zog fester, und noch mal … und gerade als Stevie erschien, die Kapuze seines Regenmantels über den Kopf zog und nach vorn geneigt durch den Regen davonstapfte, löste sich mein Fuß mit einem hörbaren Plopp aus dem Schlamm und ich kroch hinter den Wohnwagen, fort aus seinem Blickfeld.
Ich wartete ein paar Sekunden, nur für den Fall, dass Stevie irgendwas gehört hatte, dann schob ich meinen Kopf Zentimeter für Zentimeter um die Kante. Ich hoffte zu sehen, wie er den Weg entlanglief, fort von dem Wohnwagen, fort von Robyn, fort von mir …
Doch er war nicht da.
Ich konnte ihn nirgends sehen.
Scheiße …
Instinktiv warf ich einen Blick über die Schulter und erwartete schon halb, dass er hinter mir auftauchte, aber gerade als ich den Kopf nach hinten wandte und mich auf das Schlimmste einstellte, traf ein schimmernder Lichtschein mein Auge … nicht hinter mir, sondern geradeaus vor mir, direkt bei dem Trailer auf der anderen Seite des Wegs. Es war nur ein ganz kurzes Aufflackern, und bis ich den Kopf gedreht und meine Aufmerksamkeit neu ausgerichtet hatte, war es schon wieder vorbei. Doch jetzt brauchte ich das Licht nicht mehr. Ich konnte Stevie jetzt sehen – oder zumindest seine Silhouette …
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