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Bis ins Koma

Titel: Bis ins Koma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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einen Blick, den Marvel nicht deuten kann, und kommt auf die beiden zu. Sie wendet sich zuerst an Ronja, legt ihr dabei sogar den Arm um die Schulter. »Gut gemacht, Mädchen«, sagt sie, »danke.«
    »Da nicht für«, sagt Ronja.
    Sie tut, als sei Marvel Luft. Das ärgert ihn. Aber vielleicht will sie, dass er sich darüber ärgert. Sie sieht irgendwie so aus. Ein bisschen hochnäsig, ein bisschen zu sehr von sich überzeugt. Vielleicht, denkt Marvin, ist sie ja eine richtige Schauspielerin, hat das gelernt oder so. Oder ist schon berühmt. Er ist jedoch sicher, dass er sie noch nie in irgendeinem der Filme gesehen hat, die er gern guckt.

    »War’s okay für dich?«, fragt die Regisseurin.
    Ronja würdigt Marvel immer noch keines Blickes. »Für mich war’s okay«, sagt sie.
    Biggi wendet sich an Marvel. Sie reicht ihm die Hand. »Danke, dass du gekommen bist. Wir sagen dir in der kommenden Woche Bescheid.«
    Marvel schluckt. War das nun gut oder schlecht? Aber er traut sich nicht zu fragen.
    »Falls wir uns für dich entscheiden«, sagt die Regisseurin, »benötigen wir von der Schule eine Unterrichtsbefreiung, aber das erklärt dir alles Hotte, unser Produktionsleiter. Und natürlich benötigen wir das Okay deiner Eltern. Kriegst du das mit deiner Schule hin?«
    »Klar, krieg ich hin.« Dabei hat er keine Ahnung, ob er es wirklich hinkriegen kann. Er hatte im letzten Halbjahr einen Notendurchschnitt von 2,8. Nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut.
    »Und deine Eltern?«
    »Das geht auch klar«, sagt Marvel.
    Die Regisseurin lächelt. »Also, erst einmal schönen Dank, Marvin«, sagt sie, während sie schon auf der Liste den nächsten Kandidaten sucht, »du hörst dann von uns.«
    So schnell geht das. Eben denkst du noch, du bist ein Star, und im nächsten Augenblick sind sie schon froh, wenn sie dich wieder los sind.
    Jemand will Marvel den Weg zum Ausgang zeigen, aber er meint, er käme schon allein klar. Das war, bevor er wusste, dass das Studio 9 A ein Labyrinth ist. Als er endlich den Ausgang gefunden hat, ist er in Schweiß gebadet und genauso deprimiert wie der Roboter Marvin, nach dem sein Vater ihn ursprünglich benannt hat. Der Marvin in dem Raumschiff »Heart of Gold« aus dem Roman »Per Anhalter durch die Galaxis«, aber
egal. Marvel hat das Buch, das sein Vater ihm zum zwölften Geburtstag geschenkt hat, nicht mal aus der Klarsichtfolie genommen.
    Ein Vater, der seine Familie verlässt, um mit einer anderen Frau ein Kind zu kriegen, hat es nicht anders verdient.
    Marvel erinnert sich nicht mehr wirklich an die Zeit, in der alles auseinanderfiel, sein Leben, seine Familie, seine Zukunft. Will er auch nicht. Warum Dinge mit sich rumschleppen, von denen man nur Kopfschmerzen kriegt?
    Er weiß nur noch, dass seine Mutter, diese quirlige, etwas chaotische Person, sich auf einmal sehr veränderte. Langsam zuerst, dann immer schneller, sodass er es mit der Angst bekam und sich aus der Schule kaum noch nach Hause traute, weil er nie wusste, in welchem Zustand er sie antreffen würde.
    Er erinnert sich, wie von einem gewissen Moment an das Lachen aus seinem Elternhaus verschwand. Es kam auch nicht mehr so viel Besuch wie früher. Die Freunde, mit denen die Eltern halbe Nächte lang plauderten, zusammen kochten und dazu Rotwein vernichteten, wie sie das nannten, ließen sich plötzlich nicht mehr blicken.
    Oft wenn Marvel mittags aus der Schule nach Hause kam, fand er seine Mutter auf dem Sofa liegend, mit einem zusammengelegten feuchten Waschlappen über den Augen. Der Aschenbecher war voller Kippen. Sie hatte plötzlich wieder mit dem Rauchen angefangen, obwohl es sie zwei Jahre ihres Lebens gekostet hatte, damit aufzuhören. Marvel hatte mit elf mal ein halbes Jahr geraucht, aber dann plötzlich beschlossen, dass ihm Bier besser schmeckte als Zigaretten. Und weil er für beides nicht genug Taschengeld hatte und zum Zeitungsaustragen zu faul war, hat er das Rauchen aufgegeben. Beim Hundertmeterlauf verbesserte er sich danach um eine halbe Sekunde.
    Jedenfalls benahm sich auch sein Vater plötzlich irgendwie
auffällig. Zum Beispiel ließ er nie mehr sein Handy irgendwo rumliegen, und wenn es auf dem Festnetz klingelte, brüllte er: »Ich geh ran!«, und riss Marvel, der zufällig neben dem Telefon saß, den Apparat aus der Hand.
    Wenn er den Hörer hatte, dämpfte er radikal seine Stimme bis zu einem undeutlichen Flüstern und verschwand irgendwohin, wo er allein war. Wenn er nach so einem Telefonat

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