Bis unter die Haut
Uni-Zulassungstest am besten abgeschnitten, also hör endlich mit dem Gejammer auf.« Kristen hat inzwischen den Müsliriegel gefunden und beißt hinein. »Du brauchst dir um rein gar nichts Sorgen zu machen.«
»Schön wär’s«, hält Laurie dagegen. »Du weißt genau, dass es bei den Elite-Unis, auf die ich will, von Vorteil ist, wenn man jemanden in der Familie hat, der dort seinen Abschluss gemacht hat, aber da hab ich nichts zu bieten. Und gute Noten allein reichen heutzutage nicht mehr.«
»Kristen hat recht, Laurie«, sagt Claudia. »Mit deinen super Noten kommst du überall rein. Außerdem bist du ehrenamtlich so viel unterwegs, dass dein Zeugnis aussieht, als hätte der Papst es mit Weihwasser besprenkelt. Wenn hier jemand ein Problem hat, dann ich .« Stirnrunzelnd bindet sie sich die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. »Ich meine, was hab ich schon vorzuweisen, außer einem ziemlich mittelmäßigen Notendurchschnitt?«
»Vielleicht solltest du den Zulassungstest wiederholen?«, schlägt Laurie vor. »Was ist mir dir, Willow? Hast du vor, dieses Jahr irgendwelche Vorbereitungskurse zu belegen?«
»Die sind echt Gold wert.« Kristen nickt bekräftigend.
Willow weiß, dass sie etwas sagen sollte. Irgendwas. Sie fühlt sich von Minute zu Minute unwohler, weil sie einfach dasitzt und sich nicht an der Unterhaltung beteiligt, aber was soll sie sagen? Vorbereitungskurse für den Zulassungstest? Es gibt nichts, das sie weniger interessiert.
Die Uni? Genauso gut könnte sie darüber nachdenken, zum Mond zu fliegen. Wenn sie überhaupt über die Zeit nach der Highschool nachdenkt, fragt sie sich höchstens, ob David bis dahin das Haus verkauft haben wird – denn andernfalls wird sie die Studiengebühren nicht bezahlen können.
Von diesen Mädchen trennen sie Welten. Das weiß sie so genau, weil sie früher in ihrer Welt zu Hause gewesen ist. Und sie wünscht sich nichts mehr, als Kontakt zu ihnen herzustellen, aber sie hat schlicht vergessen, wie das geht.
Willow sucht nach etwas, das sie sagen könnte – irgendetwas . Da knüllt Kristen das Müsliriegelpapier zusammen und streckt den Arm aus, um es in ihre Tasche zu stecken. Einen kurzen Moment lang wird der Striemen sichtbar, der Willow neulich aufgefallen ist.
»Bist du etwa auch …«, platzt es aus ihr heraus, bevor sie es verhindern kann. Ihr Stimme ist viel zu laut.
Was sag ich denn da???
»Ich meine, bist du auch …«
Grundgütiger!!!
Sie muss sich schleunigst irgendetwas einfallen lassen, um ihren Hals aus der Schlinge zu ziehen. Die anderen schauen sie erwartungsvoll an. Denk nach, Willow!
»Bist du … bist du etwa auch ein Katzenfan …?«
Immer noch besser, als Bist du etwa auch eine Ritzerin .
»Ich meine …« Willow hält inne und schließt einen Moment lang die Augen. Vielleicht stehen sie ja auf und gehen, wenn sie einfach so sitzen bleibt? Keine Chance. Auf einem anderen Planeten vielleicht, aber nicht auf diesem. Sie hat keine andere Möglichkeit, als die Sache zu Ende zu bringen. »Hast du … hast du …«
Was? Hat sie was?
»Hast du eine Katze?«, schafft sie es schließlich zu fragen. Die Mädchen schauen sie befremdet an.
Oh Gott!
Willow spürt, wie sie feuerrot wird. Und dabei hat sie sich doch nur deswegen zu ihnen gesetzt, weil sie nicht seltsam erscheinen wollte!
»Nein«, antwortet Kristen nach einer kurzen, irritierten Pause. »Ich hab eine Katzenallergie. Apropos«, sie dreht sich zu Laurie um, »von dieser Creme, die du mir neulich empfohlen hast, hab ich einen üblen Ausschlag bekommen.« Sie krempelt ihren Ärmel hoch und fängt an sich zu kratzen. Jetzt sieht Willow, dass der Striemen, von dem sie so fasziniert war, nichts weiter als ein ganz normaler Kratzer ist, der einfach nur daher rührt, dass Kristen dem Juckreiz nicht widerstehen konnte. Und während sie mit den Fingernägeln über ihren Arm scheuert, kommen noch ein, zwei andere hinzu. Doch im Gegensatz zu den Wunden auf ihrem Arm sind die auf Kristens vollkommen harmlos. Sie ist genauso wenig eine verwandte Seele wie jede andere in dieser kleinen Gruppe. Wie jede andere auf der Welt . »Warum fragst du?« Kristen rollt den Ärmel wieder runter und schaut Willow an. »Möchtest du … möchtest du dir vielleicht eine zulegen?« Sie spricht langsam, als würde sie mit jemandem reden, der ihrer Sprache nicht wirklich mächtig ist. Sie versucht bestimmt nur nett zu sein, trotzdem wird deutlich, dass sie Willow für ziemlich beschränkt
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