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Bis unter die Haut

Bis unter die Haut

Titel: Bis unter die Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Hoban
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Trauer niemals so freien Lauf lassen. Soll sie zu ihm gehen? Aber das kann sie nicht. Weil sie diejenige ist, die ihn in diese Lage gebracht hat, weil das, was sie getan hat, ihm diesen Schmerz zugefügt hat.
    Während ihr diese Gedanken durch den Kopf gehen, tritt plötzlich Cathy hinter David. Er sieht sie nicht, aber Willow sieht sie. Ihre langen schwarzen Haare schauen unter dem rosa Schultertuch hervor, das sie sich über ihr Nachthemd gelegt hat.
    Cathy schlingt die Arme um David. Ohne sich umzudrehen, umfasst er ihre Handgelenke und zieht sie noch näher an sich heran.
    Willow ist wie gebannt. In seinem Gesicht spiegelt sich überdeutlich die innere Not und das immense Bedürfnis nach Trost wider. Sie sieht, wie Cathy die Arme noch fester um ihn schlingt, so fest wie sie nur kann, und sich dann zu ihm hinunterbeugt und ihn küsst.
    Willow kommt sich vor wie eine Motte, die zwanghaft von einer Flamme angezogen wird. Wie fühlt es sich an, so zu weinen? So getröstet zu werden?
    Wenn sie es zulassen würde, würde sie in einer Welt aus Schmerz ertrinken. Zum Glück weiß sie, wie sie das verhindern kann.
    Sie fasst in die Tasche ihres Bademantels, tastet nach ihrem eigenen Trost.
    Sie wendet keine Sekunde den Blick von den beiden ab, als sie sich ins Fleisch schneidet. Der Schnitt geht so tief, dass sie fast ohnmächtig wird, und trotzdem hört sie nicht auf, David und Cathy anzusehen.
    Ihr Blut strömt im Gleichklang mit Davids Tränen. Es tropft ungehindert an ihrem Arm hinab und auf den Boden, während sie zusieht, wie Cathy mit ihren langen Haaren Davids Tränen trocknet.
    Willow weiß, dass sie aufstehen und gehen sollte. Dass die beiden jeden Moment aufblicken und sie entdecken könnten. Aber sie kann nicht gehen, ist unfähig, sich zu rühren. Sie kann nur tiefer und tiefer schneiden.
    Die Klinge tut nicht weh. Nicht wirklich.
    Jedenfalls nicht so wie andere Dinge wehtun können. Willow zieht das scharfe Metall noch heftiger über die Innenseite ihres Handgelenks.
    Nicht so wie andere Dinge wehtun können.

KAPITEL VIER
    Willow lehnt am Stamm der Linde auf dem Schulhof und klappt seufzend ihr Buch zu. Seit einer halben Stunde versucht sie zu lesen. Vergeblich. Sie kann sich einfach nicht konzentrieren. Statt den Text vor sich zu sehen, hat sie die ganze Zeit ihren weinenden Bruder vor Augen.
    Sie hat Angst vor der nächsten Begegnung mit ihm. Werden ihre Augen sie verraten? Sie weiß, dass er nicht gewollt hätte, dass sie ihn so sieht. Es war etwas so zutiefst … Intimes – das ist das einzige Wort, mit dem sie es beschreiben kann –, sowohl an seiner Trauer als auch an der Art, wie Cathy ihn getröstet hat.
    Heute Morgen war sie zum ersten Mal erleichtert gewesen, in die Schule zu müssen. Sie ist früher als sonst aus dem Haus gegangen, um keinem der beiden in die Arme zu laufen.
    Aber außer einem knurrenden Magen hat es ihr nichts gebracht, das Frühstück ausfallen zu lassen. Obwohl es ein wunderschöner Tag ist, obwohl sie eine Freistunde hat und entspannt draußen sitzen und lesen könnte, kann sie einfach nicht aufhören, an David zu denken. Sie hat gewusst, dass er leidet, natürlich hat sie es gewusst, aber ihn so zu sehen …
    Und trotzdem … David ist seit dem Unfall so verschlossen und zurückhaltend, dass es ihr merkwürdig unwirklich vorkommt, ihn so gebrochen gesehen zu haben.
    Sie hasst sich für das, was sie ihm angetan hat. Aber noch mehr hasst sie sich dafür, so selbstsüchtig zu sein. Denn sie weiß, dass sie sich zuallererst um ihn sorgen sollte, nachdem sie ihn so gesehen hat. Stattdessen denkt sie nur an eines: Wenn er sich auf diese Weise gehen lassen kann …
    Warum verhält er sich dann mir gegenüber die ganze Zeit so kühl und distanziert?
    Abgelenkt von einigen Schülern, die gerade in den Park kommen, schaut Willow auf. Ein paar von ihnen kennt sie aus gemeinsamen Kursen.
    »Hey, Willow, alles klar?«, ruft eines der Mädchen zu ihr rüber.
    Willow nickt ihr zu und lächelt verhalten. Sie heißt Claudia. Viel mehr weiß sie nicht über sie, außer dass sie bis jetzt immer nett zu ihr gewesen ist, und dafür ist sie ihr dankbar.
    »Hast du nicht Lust, zu uns rüberzukommen?« Claudia setzt sich ins Gras und lächelt sie einladend an.
    Nein. Willow hat keine Lust. Sie will lieber unter der Linde sitzen bleiben und ihr Buch weiterlesen. Obwohl das während der letzten halben Stunde ja nicht sonderlich gut geklappt hat, und außerdem – wie könnte sie dieses nette

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