Bis unter die Haut
macht, und fragt sich, ob sie wissen müsste, um welches Experiment es sich handelt. Vielleicht hat sie auch in Physik einiges aufzuholen.
»Was machst du da eigentlich? Ist das eine Hausaufgabe?«, fragt Willow. »Haben wir das diese Woche aufgehabt?«
»Nein, nein.« Vicky schaut nicht auf, sondern kritzelt weiter irgendetwas in ihr Heft. »Ich mach das nur, um meinen Notendurchschnitt zu verbessern. Ich … ähm … das letzte Jahr hätte ich nämlich beinahe nicht geschafft.« Sie errötet ein bisschen. »Mr Moston meinte, dass ich Bonuspunkte bekommen kann, wenn ich zusätzlich ein paar Versuche durchführe.« Sie klappt ihr Heft zu und wirft dabei fast ein paar der Geräte um.
»Was ist das für ein Experiment?«, fragt Willow. Ihr Bein tut mittlerweile so weh, dass sie sich nicht weiter daran zu schaffen machen braucht.
»Ach, ich versuche herauszufinden, wie das mit der Beschleunigung unter Schwerkraft funktioniert. Echt, wen interessiert das schon? Ich will nur … Hi, Guy«, unterbricht sie sich, als die Tür aufgeht.
Noch bevor Willow sich umdreht, weiß sie, dass es sich um denselben Guy handeln muss, den sie in der Bibliothek kennengelernt hat. Es könnte natürlich auch ein anderer sein. Er ist nicht in ihrem Physikkurs, es gibt also keinen Grund, warum ausgerechnet er es sein sollte, aber sie weiß es einfach. Na und? Es gibt nichts, was ihr peinlich sein müsste. Ihn hat sie ja schließlich nicht gefragt, ob er eine Katze hat.
»Hey, Vicky. Hallo, Willow.« Er lächelt die beiden an. »Ist Mr Moston auch in der Nähe? Ich wollte den Laborbericht hier bei ihm abgeben.«
»Er müsste jeden Moment wiederkommen«, sagt Vicky. Sie hängt ein Gewicht an ein Metallrohr und stupst es an, damit es vor- und zurückschwingt.
Kein Wunder, dass Vicky Zusatzversuche machen muss, denkt Willow unwillkürlich. Das Mädchen hat wirklich null Ahnung – jeder andere würde sehen, dass ihre Konstruktion ziemlich instabil ist: Das kleine Metallgewicht schwingt in gefährliche Nähe zu ein paar gefüllten Bechergläsern, die offensichtlich Teil eines weiteren Experiments sind.
Willow will ihr gerade vorschlagen, sie ein Stück wegzurücken, als das Gewicht gegen eines der Gläser knallt und es umwirft. Mit hochgezogenen Schultern sieht sie zu, wie per Dominoeffekt noch einige weitere Bechergläser umkippen, klirrend zu Boden fallen und dort in tausend Scherben zerspringen. Eine giftig aussehende blaue Flüssigkeit fließt über den Boden.
»Oh nein!« Vicky schlägt die Hände vor den Mund.
»Ist doch nicht so schlimm.« Guy läuft auf sie zu, um sich den Schaden genauer anzusehen.
»Nicht so schlimm?!« Vicky starrt ihn ungläubig an. »Hast du sie noch alle? Das ist die totale Katastrophe! Ich hab diesen dämlichen Versuch doch nur gemacht, weil ich so miese Noten hab! Und jetzt hab ich auch noch was kaputt gemacht! Ich bin geliefert!«
»Lasst uns lieber schnell den Boden wischen, bevor er zurückkommt.« Willow humpelt auf sie zu. »Hier.« Sie schnappt sich ein paar Schwämme, die neben dem Waschbecken liegen, und wirft einen davon Guy zu. »Vorsicht mit den Scherben.« Sie lässt sich auf alle viere nieder und fängt an, die blaue Flüssigkeit aufzuwischen.
»Das bringt doch jetzt auch nichts mehr!«, jammert Vicky.
Willow stellt irritiert fest, dass Vicky kurz davor ist, in Tränen auszubrechen. Hallo? Seit wann sind ein paar zerbrochene Bechergläser und ein fehlgeschlagenes Experiment ein Grund zum Heulen? Sie hält mitten im Putzen inne, hockt sich auf die Fersen und starrt Vicky an. Ist ihr nicht klar, wie glücklich sie sich schätzen kann, wenn das das Schlimmste ist, was ihr in ihrem Leben passiert?
Über Vickys Wangen beginnen tatsächlich Tränen zu laufen.
Wegen ein paar Glasscherben?
Willow ist fassungslos. Vielleicht sollte sie nicht so hart sein, aber sie kann nichts dagegen tun, dass sie in diesem Moment Verachtung für Vicky empfindet.
»Was ist denn hier los?« Mr Moston ist plötzlich hinter Willow aufgetaucht und betrachtet die Bescherung auf dem Boden.
Einen Moment lang sagt keiner ein Wort. Vicky hat ihr Gesicht abgewendet, sodass Mr Moston nicht sehen kann, dass sie weint.
Willow spürt, wie Vicky mit sich kämpft, um den Mut aufzubringen, Mr Moston zu erzählen, was passiert ist.
»Es war meine Schuld«, hört sie sich überraschend sagen.
Sie lässt den Schwamm fallen, steht auf und sieht Mr Moston direkt in die Augen.
»Ich hab Vicky gebeten, mir zu zeigen, was sie da
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