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Bis unter die Haut

Bis unter die Haut

Titel: Bis unter die Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Hoban
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anders für dich?«
    »Musst du mich das nach gestern wirklich noch fragen?« Guy sieht sie ungläubig an. »Okay, hier ist die Antwort: Alles ist anders. Einfach alles.«
    Willow weiß, wovon er spricht. Sie sind nicht mehr dieselben wie gestern. Jetzt geht ihr Ritzen nicht mehr nur sie selbst etwas an – falls das überhaupt je so gewesen ist.
    Ihr kommt wieder in den Sinn, was ihr Bruder über die Verantwortung gegenüber denjenigen, die man liebt, gesagt hat. Ihr wird klar, dass sie anfangen muss, diese Verantwortung zu übernehmen. Das Ritzen ist für sie in der Vergangenheit die einzige Möglichkeit gewesen, sich vor dem Untergang zu bewahren, aber jetzt gibt es eine andere Möglichkeit. Und sie ist es Guy schuldig, sich nicht auf diese Weise wehzutun, die ihn noch viel mehr schmerzt.
    Sie betrachtet die Rasierklingen in der Packung, denkt an all die Monate, die sie mit ihnen eng verbunden gewesen ist, an den Schmerz, den sie sich mit ihnen zugefügt hat, um sich besser zu fühlen, der ihr jedoch nie dieses unfassbar gute Gefühl geben konnte, das sie bei Guy empfinden kann. Und sie weiß, wenn sie sich hier und jetzt von dieser Packung Rasierklingen trennen würde, wäre das nicht nur das Verantwortungsvollste, sondern auch die schönste und bedeutungsvollste Geste, ihm zu zeigen, dass sie jetzt tatsächlich mit ihm zusammen ist.
    Und trotzdem …
    »Ich weiß, dass ich mich von ihnen trennen sollte«, sagt sie schließlich, als sie sich ein bisschen beruhigt hat und wieder in halbwegs zusammenhängenden Sätzen sprechen kann. Sie greift nach der Packung mit den Rasierklingen, dreht sie nachdenklich hin und her. »Ich weiß, dass ich es tun sollte, aber ich kann es nicht. Ich kann nicht. Ich dachte, dass ich es tun würde. Ich dachte, dass ich es könnte. Ich habe daran gedacht, es zu tun, als ich Markie getroffen habe. Ich habe gestern Nacht darüber nachgedacht. Ich habe darüber nachgedacht, als ich mit meinem Bruder geredet habe, aber … ich kann nicht!«
    »Dann ist das also deine Entscheidung?« Guy nimmt ihr die Rasierklingen aus der Hand. »Du bleibst ihnen treu?«
    »Ich … Ich will es nicht, aber …«
    »Dann befrei dich von ihnen! Tu es! Schmeiß sie hier und jetzt in den Fluss! Ich helfe dir dabei. Versenk sie ›Fünf Faden tief‹, wie Ariel in Der Sturm !«
    »Glaubst du wirklich, dass es damit getan wäre?« Willow fängt wieder an zu weinen. »Dass ich nicht einfach morgen losziehen und mir neue kaufen oder mir einfach einen Schraubenzieher nehmen könnte, wenn gerade nichts anderes zur Hand ist?«
    »Das weiß ich«, sagt Guy. Er nimmt ihre Hand und legt sie auf seine, in der er immer noch die Rasierklingen hält. »Ich weiß das alles, okay? Aber selbst wenn du dir morgen wieder neue besorgst, hättest du dich wenigstens jetzt, jetzt in diesem Augenblick, von ihnen befreit.«
    »In Ordnung!« Willow presst ihr Gesicht an seine Brust. Sie kann nicht aufhören zu weinen, und weiß, dass er sie vor lauter Schluchzen wahrscheinlich gar nicht verstehen kann. »In Ordnung, ich tu es«, wiederholt sie noch einmal.
    Guy schiebt sie ein Stück von sich und sieht sie erstaunt an, als könne er nicht glauben, was er eben gehört hat. »Was hast du gesagt?«
    »Ja, ich tu’s! Ich schmeiß sie weg, okay? Nur … nur gib mir noch einen kurzen Moment Zeit …«
    Eine Stunde, einen Monat, ein Jahr …
    »Hör zu«, sagt Guy. »Ich helfe dir, okay? Es ist ganz einfach. Schau.« Er gibt ihr die Packung und legt dann seine Hand auf ihre. »Wir strecken jetzt einfach den Arm über dem Wasser aus und zählen bis drei, und …«
    Aber so lange wartet Willow gar nicht. Sie weiß, dass sie jederzeit losziehen und sich neue Rasierklingen kaufen kann, aber während sie zusieht, wie die Packung in ihr nasses Grab sinkt, ist sie sich fast sicher, dass dieses Kapitel ihres Lebens zu Ende ist. Der Vorhang schließt sich vor der Kulisse der vergangenen sieben Monate und entlässt sie in eine schöne neue Welt, die Einwohner wie Guy hat. Und wenn es auch kein Happy End ist, so ist es vielleicht zumindest ein glücklicher Anfang.

Danksagung
    Ich möchte mich von ganzem Herzen bei folgenden Menschen bedanken, die mir alle so viel und auf so unterschiedliche Weise geholfen haben:
    Andrea Haring für ihre unermüdliche Unterstützung und ihr unerschütterliches Vertrauen. David Damrosch, weil er mir seine Zeit und seine Energie zur Verfügung gestellt und mir Vorschläge gemacht hat, von denen jeder einzelne dieses Buch

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