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Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Toten Hosen
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das ging: Marc und seine internationale Truppe pflegte in einem alten Gangster-Citroen zu reisen, der von einem eleganten französischen Chauffeur mit weißen Handschuhen gesteuert und dann wieder repariert wurde, immer im Wechsel von circa zwanzig Minuten. Wir hatten Jochen und Scumeck dabei, Jochens rechte Hand, dazu Christoph und Bertram, zwei notorische Hosen-Fans aus den Untiefen deutscher Stadtzeitungen. Wir hatten wenig Socken zum Wechseln und hockten in diesem Opel Blitz, wo pausenlos eine unkündbare Standheizung losbollerte. Aber wir hatten auch einen Haufen Kassetten dabei, von den Boys über Chelsea bis zu Gary Glitter, und wir mußten einfach hin. Und bald nach der Ankunft wußten wir auch, warum.
    Budapest war großartig, wenn man Istvän kannte. Istvän, den Künstler, der bei der halbstaatlichen Plattenfirma arbeitete und in einer Band spielte, die immer ein bißchen schwermütig klang; wie Velvet Underground nach zwei Flaschen Tokajer. Istvän war ein typischer Grenzgänger in diesem komischen Ungarn. Was er machte, war oft nicht ganz erlaubt, aber auch nicht verboten. Istvän hatte den besten Sony-Walk-

    Berlin, Budapest, Kirchweihdach: Wir und unser Opel Blitz
    man, die hipsten Kassetten und West-Magazine, das beste Gras. Er kannte die schönsten Ungarinnen und wußte, wo man sie treffen konnte: im »Young Artists Club« in Pest, wo wir mit ihm und seinen Freunden jeden Abend ab elf, wenn die anderen Läden dichtmachten, heftig tranken.
    Wir kriegten keine Ungarin ab, keiner von uns. Wir waren fast alle einfach zu grün dafür, damals. Aber wir kriegten genug zu trinken und zu rauchen, um nach drei Nächten wenigstens ein bißchen verlebt auszusehen. Dann pflegten wir uns einen Nachmittag lang im türkischen Bad, fuhren zur Marx-Karoly-Universität nahe der Szabadsäg-Brücke und gaben eines unserer besten Konzerte.
    Wir spielten vor etwa tausend Leuten, die durch ein paar halbversteckte Plakate und Mundpropaganda in der Aula zusammengekommen waren. Punks, Künstler, Existenzialisten, die ganz normale Mischung eines beliebigen Abends in der Hamburger »Markthalle«. Sogar eine kleine Gruppe Skins war aufgelaufen, die genau wie ihre glatzköpfigen Verwandten in Hamburg ein paar kurze Prügelszenen inszenierten. Aber es gab so etwas wie eine große Koalition des Undergrounds, die solche Feuer schnell löschte. Das Halblegale der ganzen Veranstaltung war eine Duldung; sie konnte im Randalefall ganz schnell zurückgezogen werden.
    Wir spielten den dritten und letzten Set des Abends, nach einer einheimischen Band namens Control Csopport (Kon-trollgruppe) und den Unbekannten, die mit ihrem Nerv-Citroen einen Tag nach uns in der Stadt eintrafen. Alle fünf waren wir richtig in Spiellaune, »mentalmäßig gut drauf«, wie mein Lieblings-Kicker Jürgen »Kobra« Wegmann sagen würde, und genauso waren es die anderen. Mit den ersten Takten unseres Openers »Wir sind bereit« hob vor uns ein Pogen und Spucken und Sich-Bewegen an, das bis zum Ende nicht mehr nachließ. Es war das im Universum genau gegenüber Liegende zum Zustand des »hallot nadragok« (tote Hose).
    In dieser Nacht stieg noch irgendwo eine Party. Wir standen in einer Plattenbausiedlung und wurden von Istväns Freunden in irgendwessen Wohnung gezogen. Von da ab ist mein Film gerissen. Als wir am nächsten Tag Richtung Wien abziehen, hat Istvän glänzende Augen. Ist das unsere neue Freundschaft, oder hat er nur wieder zuviel geraucht? Wir wußten, wir würden wiederkommen.
    Auswärts hui, Zuhause pfui, hätte unser Lieblings-Sport-reporter Hajo Rauschenbach gesagt; der Mann bückt sich seit zwanzig Jahren nach jeder noch so totgetrampelten Metapher, einfach herzzerreißend. Während wir als Live-Act ein gewisser Kult wurden, blieben wir da, wo es finanziell drauf ankam, nämlich beim Plattengeschäft, weiter auf der Kriechspur. Nach »Bommerlunder« hatten wir mit der Weihnachtssingle »Schöne Bescherung/Willi’s weiße Weihnacht« im Winter '83/84 die vierte Single unter unserem »Totenkopf«-Label rausgebracht. Wie ihre Vorläufer, blieb sie eine viel gelobteTurbo-Schnecke: zu schnell zum Sterben, zu langsam, um es irgendwohin zu schaffen. Nur gut, daß die EMI unfreiwillig die Aufnahmen finanzierte.
    Wir waren eigentlich im EMI-Studio, um eine ganz andere Idee zu realisieren, die zweite, mit Hip Hop versetzte Version von »Bommerlunder«, also die erste historisch belegte Fusion von Rock’n’Roll und Rap,Jahre bevor Bands wie

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