Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
kein Gehöft aus, um uns vor Mensch und Tier zu produzieren und die Ahnungslosigkeit der Kreatur auszunutzen. Im Gegenzug lernten wir die letzten weißen Flecken auf der Landkarte Westeuropas kennen. Breiti hat unsere Tourpläne aus der Zeit aufgehoben; ein Blick darauf ersetzt zwei Semester angewandte Peripherie.
i9-2.83:Lothe ...12.3.: Espelkamp ...22.3.: Kirkel, Club »Tote Hose« ... 22.6.: Kirchweihdach ...2.7.: Weikersheim ...15.8.: Grünstadt.. .26.2/84: Übach-Palenberg ...28.2.: Ar-gens II, Frankreich... 17.3.: Jöllenbeck...6.4.: Schwindkirchen... 17.4.: Husby bei Flensburg...22.4.: Dieburg...3.6.: Lothe (schon wieder!). 22.6.: Espelkamp...
Trotzdem war es keine Ochsentour in dem Sinne, daß wir es nur mit zugeklammerten Nasen ertrugen. Wir liebten die klare Luft und die leger getragene Unbedarftheit der dortigen Kids. Die konnten noch zugeben, daß sie irgendeinen Trend oder einen Aufstand in Burkina Faso nicht mitgekriegt hatten. In der Stadt mußt du deine ganz normale Blödheit ja immer mit viel Aufwand überspielen. Wir hatten auch lieber Kuhfladen unter den Sohlen als Kaugummis. Bei den Ausflügen in die »große Welt« faßten wir dagegen damals meistens in die Scheiße.
Rom? Ein Fiasko. Wir fuhren im September 1983 mit meinem alten, roten BMW runter, in Rekordzeit von 13 Stunden, um auf Einladung einer Jugend-Organisation namens »Arci« im »Ex-Mattatoio« (Ex-Schlachthof) an einem internationalen Subkultur-Festival teilzunehmen. Das Motto »I love you, fuck you« war vielversprechend, die Gästeliste umfangreich. Schriftsteller und Rapper, Musikgruppen und Filmemacher aus dem internationalen Underground waren eingeladen. Aber schon nach zehn Minuten Aufenthalt waren unsere zwei Gitarren aus dem Wagen geklaut - Kuddel, der die dritte hatte, kam mit dem Flieger nach. Abends auf der Bühne wurde Campi von italienischen Skins bespuckt und angegriffen. »You fucking bastards«, schimpfte Campi, »ihr seid noch nicht mal gut im Spucken! Come back later, I ’ll kill you after-wards!« Aber der Italiener kennt keine Pünktlichkeit. Der Gig endete vorzeitig in einem Massentumult, bei dem Campi mit dem Mikrofonständer versehentlich neben einem Skin auch noch einen Ordner rasierte. Und dann ging auch noch der BMW kaputt.
Paris? Ein Parkplatz für Hochstapler und Betrüger. Wir wurden im Februar '84 vom Goethe-Institut eingeladen, da mal ein bißchen deutsche Kultur zu verbreiten. Aber vor uns waren bereits die Einstürzenden Neubauten dagewesen, die Sand, Steine und Stahl auf der Bühne ausgebreitet hatten, bevor sie die ganze Konstruktion fachgerecht in ihre Bestandteile zerlegten. Die fälligen Reparaturen fraßen soviel von Goethes Geld, daß man unsere Gage einsparen wollte. Die Kulturagenten hatten ernsthaft vor, die Kulturschaffenden, die sie gerufen hatten, um ihre Gage zu betrügen. Daß wir dann überhaupt zum Dumpingpreis spielten, lag nur an den edichen aus Düsseldorf angereisten Fans und einer guten Idee, wie wir unsere Gage aufbessern könnten.
Wir holten für unseren Bommerlunder-Song am Ende des Sets soviel Leute wie möglich auf die Bühne, um ein allgemeines Chaos zu schaffen. Im dicksten Gewühl schraubten wir dann die Mikrofone ab und brachten sie hinter die Bühne, wo Bollock schon mit einer großen Plastiktüte bereitstand. Da packten wir die teuren Dinger rein und verschwanden augenblicklich, ohne die Zeche im Hotel zu zahlen, und verscherbelten später, was wir mitgenommen hatten. Kultur ist eine feine Sache, aber auch der Kulturschaffende hat Hunger und muß essen.
Das mit der Verständigung wegen Goethe klappte sowieso nicht richtig. In Bordeaux spielten wir elf Tage später vor Tapeziertischen voll Sauerkraut und Würstchen und lauter jungen Schüler-Hippies, die bei ihren Pogo-Versuchen von zwei französischen Skin-Brüdern und ihren Freunden mit Stiefeln und Fäusten gequält wurden. Einer fummelte wirr mit seinem Messer vor den Nasen der Mädchen rum. Wir mischten zuerst die Skins auf, dann das deutsche Buffet. Aber inzwischen war eine multikulturelle Massenkeilerei ausgebrochen, und als die zuende war, stellten wir den Verlust zweier Effektgeräte fest. Wir stürmten einen Proberaum und mußten erneut ein paar Ohrfeigen verteilen, bis wir wieder im Besitz unserer Geräte waren - Wirtschaftsboykott wäre zu langwierig geworden, pardon! Ob die Einwohner von Bordeaux seitdem das deutsche Wesen besser verstehen, weiß ich nicht.
Einen anderen Empfänger unseres
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