Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte
Aero-smith darauf einstiegen. Das sollte die nächste Hosen-Single bei der EMI werden, dafür hatten sie uns das Studio zur Verfügung gestellt. Aber immer wenn ihre Leute gerade abgetaucht waren, tauschten wir die Studiobänder aus und füllten neue Spuren für unsere Weihnachts-Single. Steckten sie ihre Nasen zur Tür herein, hatten wir die Bänder wieder umgetauscht und schraubten brav an der Hip Hop-Nummer weiter. Es war wie Weihnachtsgeld für verdiente Mitarbeiter der Firma - nur daß wir die Zuwendungen als selbstlose Künstler gleich wieder in ein neues Projekt investierten.
»Schöne Bescherung« machte uns nicht zur Single-Band, aber »Hip Hop Bommi Bop«, wie der mutmaßliche Knüller dann hieß, schaffte das auch nicht richtig. Wir veröffentlichten die Scheibe als »The Incredible TH Scratchers starring Freddy Love«, denn Freddy war der Mann, der den Hip Hop anschleppte. Auch Freddy war »eigentlich« Filmemacher, genau wie ich, eigentlich - mit dem Unterschied, daß Freddy mit »Wild Style« bereits ein weltweit beachtetes Werk über die New Yorker Hip Hop-Szene gelungen war. Tatsächlich lernten wir uns vorschriftsmäßig auf einem Filmfestival in
Sevilla kennen, wo wir uns gegenseitig das Vertrauen des anderen erschlichen. Meines in ihn blieb an der Oberfläche folgenlos; seines in mich nutzte ich sofort aus, um ihn an den Rhein zu locken, in den Hinterhalt unseres multikulturellen Musikprojekts.
Im Grunde war es gar kein echtes Crossover. Man hört Kuddels weiße Rock-Gitarre und Freddys schwarzen Gesang, man hört Rap und irgendwas mit Eiern und Schinken, und beides läuft mehr nebeneinander ab, als daß es fusioniert. Und so ging es uns auch: Als wir aus dem Studio kamen, war Freddy weiter mohrenschwarz und wir noch immer so käsigweiß wie zuvor.
Freddy gab sich alle Mühe, den Song zu pushen. Er spielte ihn, als er im Londoner »Academy« im Anschluß an ein Konzert seiner Freunde von The Clash vor sechstausend Leuten auf die Bühne geholt wurde. Er spielte ihn im New Yorker »Roxy«-Club, nach einem Herbie-Hancock-Gig, er spielte ihn überall. »Oh yeah, this drink is right on time/ a couple of sips and it will blow your mind... you can be a king or even a queen/ when you drink Bommerlunder on the scene/ Some drink it standin’ on their head/ Bommerlunder rock the living and rock the dead...« Dadurch wurde unser Pseudo-Rap ohne Absicht vielleicht ein bißchen zu sehr Freddys Nummer, zu sehr ein richtiger Rap. Aber was tun, wenn ein Kerl aus New York, den du in den Hinterhalt locken willst, auf einmal mit deinem Schnaps durchbrennt?
Freddy hatte uns aus Versehen reingelegt, nicht wir ihn. Sein Fame war durch die Nummer um ein witziges Stück gewachsen. Die Toten Hosen dagegen und die Firma Bommerlunder verkauften von ihrem Zeug weltweit nicht ein Quentchen mehr. Doch was kümmerte uns die Welt? Unsere erste Bommerlunder-Fassung war auch noch im Rennen, und durch sie kamen wir im Herbst '83 zu unserem ersten Live-Auftritt im Fernsehen.
Es war eine ziemlich perverse Situation: »Formel 1« war zu dieser Zeit der Branchenführer für Musiksendungen im Bildschirm, hier hockten die Kids vor und glotzten. Die Art und Weise der Präsentation war aber unterm Strich so daneben, daß sich ein Auftritt für Punkrocker im Grunde von alleine verbot. Wie konnten wir unter solchen Umständen neue Zielgruppen erschließen, ohne uns vor unseren alten Fans -und vor allem: vor uns selbst und unseren Freunden - auf immer und ewig zu blamieren?
Die Lösung brachte einmal mehr das Leben. Wir hatten am Abend zuvor noch ein Konzert im Berliner »Tempodrom« gespielt und waren anschließend mit einem Schwung Punks aus der Hausbesetzer-Szene zünftig versackt. Es waren zum großen Teil sehr junge Punks, fünfzehn, sechzehn Jahre alt, und sie waren völlig erfrischend und in Ordnung. Wir fanden sofort, daß solche Leute auf dem Bildschirm erscheinen sollten und nicht so abgebrühte Säcke wie wir. Daraus entstand die Idee: Wir würden die Berliner Kids zum Bommerlunder-Playback auf die Bühne lassen und selbst im Publikum bleiben; wir würden die Zuschauer sein und die Berliner die wahren Helden.
So machten wir es dann auch. Die Berliner, die Hosen und wohl auch der Großteil der Fernsehzuschauer hatten ihren Spaß an der Nummer. Nur das Formel-i-Team schickte uns Flüche hinterher. Mit einem guten Pegel Restalkohol und leeren Bäuchen waren wir alle zusammen gleich am Morgen über die Kantine der
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