Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte

Titel: Bis zum bitteren Ende - Die Toten Hosen erzählen ihre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Toten Hosen
Vom Netzwerk:
Kulturexports, die Ortschaft Argens, verpaßten wir zunächst um mehrere hundert Kilometer, weil es in Frankreich zwei Orte dieses Namens gibt. Das richtige Argens wurde aber noch gefunden, und dort lud uns der Bürgermeister hinterher zum Essen ein. Aber das war auch wieder kleine Welt, nicht große. Nur zweimal lief es in den großen europäischen Metropolen besser als beschissen. Beide Male waren es Auftritte im Osten. Im März '83 reisten wir auf Tagesumtausch nach Ostberlin ein und spielten vor etwa dreißig Zuschauern in einer Kirche. Die Nummer lief über Marc Reeder, einen ziemlich schrägen Vogel aus der Westberliner Szene, der angebliche oder wirkliche Geheimdienstkontakte nach drüben hatte; genau haben wir das nie verstanden. Fakt war, daß Marc einen Draht zu den Ostberliner Punks hatte, die es offiziell natürlich gar nicht gab oder geben durfte. Diesen Draht ließ Marc jetzt für uns glühen: Er informierte ein paar Leute, daß wir am Sonntag, den 27.3., rübergehen würden, und diese Vertrauensleute informierten wieder andere, denen sie vertrauten.
    Da standen wir also an einem Sonntagnachmittag mit dreißig Ost-Punks in dieser Kirche und versuchten, aus den fremden Instrumenten, die man uns gab, ein paar Funken für uns alle zu schlagen. Wir waren im Zehn-Minuten-Abstand möglichst unauffällig durch die Kontrollstelle Friedrichstraße geschlüpft, das bedeutete: normale Klamotten, Haare streng und flach an den Schädel gekämmt, und keine Instrumente! Mein Schlagzeug war ein Produkt des VEB Schepperland, und Breiti sah zum ersten Mal Saiten auf einer E-Gitarre, die mangels Nachschub mit ein paar Knoten zusammengezwirbelt waren. Zu blöd, daß wir keine neuen Saiten eingeschmuggelt hatten. Die »Anlage« stammte aus dem Proberaum der Puhdys und war, gemessen an der Bekanntheit dieser Band, eine seelische Grausamkeit.
    In seiner ganzen geheimnisvollen Gedämpftheit war es aber ein wirklich ergreifendes Ereignis. Wir spielten und sangen in Flüsterlautstärke, und die DDR-Punks pogten vorsichtig auf den Fußspitzen, wie Ballettänzer. Es war nicht enttäuschend, sich so sehr zurücknehmen zu müssen, sondern wirklich witzig, auf eine verbindende Art. Es war »Papa schläft und wir machen ihm die Schuhe auf«, nur daß uns im Ernstfall viel mehr gedroht hätte als rote Ohren und eine Woche Taschengeldentzug. Vorher und hinterher gab uns der Pfarrer der Kirche seinen Segen, und schließlich lockerte sich die Stimmung bei ein paar Bier und Gesprächen weiter auf.
    Eine nette Geschichte? Wer nie über die Transitstrecke nach Berlin gefahren ist oder mal am Grenzübergang Friedrichstraße stand, kann sich die beklemmende Atmosphäre dieses Sonntags kaum vorstellen. Als DDR-Punk warst du so etwas wie eine DDR-Hure: Du durftest gar nicht zeigen, daß es dich überhaupt gibt. Du wurdest an keiner Hochschule akzeptiert und bei Reisen in die sozialistischen Bruderländer meistens schon an der Grenze zurückgeschickt. Es handelte sich auch nicht um die Suche nach einer geilen Location, als wir uns für das Konzert vor den Altar stellten. Kirche bedeutete Schutz, auch für uns. Aber was wären wir für Punkrocker gewesen, wenn wir auf eine offizielle Einladung in die DDR gewartet hätten ? Hätten wir etwa brav ein paar Lederjacken und Schallplatten an Honecker schicken sollen, wie Lindenberg und Maffay, um dann eines fernen Tages von oben einzuschweben?
    Es gibt eben solche und solche Kapellen. Gegen Abend hockten wir noch bei irgendwem in der Wohnung und sahen zusammen Westprogramm. Da zeigten sie eine Dokumentation mit dem Titel »Zwei Bands, zwei Welten«, wo das Leben einer Startruppe mit dem einer Underground-Band verglichen wurde. Die Startruppe hieß BAP, die Underground-Band waren wir. Wenn du sowas auf einem DDR-Fernseher siehst, zwischen Jungs und Mädchen, die dir was von der neuen LP von »Se Gläsch« (The Clash) erzählen, dann traust du auf einmal sogar dem Fernsehen. Nur uns traute man in der DDR von offizieller Seite nicht - nach unserem zweiten unangemeldeten Konzert in Ostberlin, ein Jahr darauf, legte man eine Stasi-Akte über uns an, in der wir als »Unerwünschte Besucher« eingestuft wurden. Das bedeutete: Einreise verbieten, Durchreise nur nach Rücksprache mit der Stasi genehmigen.
    Auch unser Abstecher nach Budapest war das konspirative Werk Marc Reeders. Zusammen mit seiner eigenen Band, Die Unbekannten, fuhren wir Ostern '83 von München über Wien nach Ungarn rein .Jedenfalls, soweit

Weitere Kostenlose Bücher