Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
wenn ich es jetzt richtig anstellte, könnte ich sie mitnehmen, raus hier aus dem ganzen Getöse, raus aus dem Wahnsinn ihres Vorhabens, weg hier, weit, weit weg.
    »Nach Noriyuki Haga«, antwortete ich schnell. »Japanisches Motorrad-As. Fährt für Yamaha. Irgendwann nächsten Monat ist die WM in Valencia, und falls wir da in der Nähe sind, könnten wir zum Rennen gehen, dann zeige ich ihn dir, und wenn du ihn erst mal fahren siehst, wirst du …«
    Sie sah mir in die Augen und ich in ihre, tief wie eine Galaxie. Und wie bei einem Vorstoß ins All bemerkte ich auf einmal, was für eine Distanz, wie viel Raum da war, zwischen den kupferfarbenen, leuchtenden Tupfern, was für eine Weite, was für eine unfassbare Leere.
    »Und falls es ein Mädchen wird«, versuchte ich einen zweiten Anlauf, »könnten wir sie …«
    »Ich kann keine Kinder bekommen, Kristof«, unterbrach sie mich, noch bevor ich ›Cher‹ vorschlagen konnte.
    Ich hatte sie gehabt. Ganz kurz hatte ich sie gehabt.
    »Die Russen haben mich gefangen genommen und in diesem Krankenhaus … verhört.«
    Ab hier entglitt sie mir wieder, unaufhaltsam.
    »Seitdem bin ich nichts mehr wert.«
    »Das ist doch Unsinn, und das weißt du.« Ich war schockiert, ich schwamm, ich improvisierte, ich redete gegen eine Wand, doch zum Schweigen war – einfach – keine – Zeit. »Stell dir den Kummer vor, den du all den Menschen machst, die dich lieben … deinen Freunden … deiner Familie … mir …«
    »Ich habe keine Familie mehr, Kristof. Sie sind alle tot.«
    »Aber wir, wir leben doch!«
    Ich suchte wie rasend nach irgendetwas, einem Berührungspunkt, einer Erinnerung, einer gemeinsamen Perspektive, irgendwas, das uns verband, und fand nur diesen einen, flauen Scherz, doch ich war entschlossen, alles zu probieren.
    »Und wenn wir Geld brauchen, gehst du Banken ausrauben, und ich werde dich fahren …«
    Er verpuffte. Ich verlor sie jetzt in Riesenschritten, rapide.
    »Anoushka …«
    »Ich heiße nicht Anoushka.« Weiter, und weiter.
    »Ja, aber wie dann?«
    »Es spielt keine Rolle mehr.«
    Ausgerechnet jetzt fiel ein Tor oder sonst was und die Masse tobte und wogte. Wir wurden gegeneinander geschoben, waren uns plötzlich näher, als wir uns jemals zuvor gewesen waren, mit Ausnahme des einen Augenblicks, als sie mich vor der vermeintlichen Tretmine retten wollte.
    »Bleib bei mir.« Doch sie war schon fort, unerreichbar.
    »Kristof, geh jetzt, oder geh mit mir.«
    »Ich gehe nicht! Ich gehe nicht! Ich möchte, dass du …«
    »Auf Wiedersehen, Kristof.« Sie sah mir ein letztes Mal in die Augen, und ich hielt ihren Arm und spürte die Bewegung ihrer Muskeln, als sie den kleinen Knopf drückte.
    Ich war gleichzeitig auf eine entrückte Art bereit, und dann war da aber auch dieses protestierende Kreischen in meinem Hinterkopf, das schriller und schriller wurde, und schriller, bis irgendwann klar war, dass nichts geschah, nichts passieren würde.
    In völliger Verwunderung blickte Anoushka an sich, an uns herunter, und ich folgte ihrem Blick zu der kleinen roten Kneifzange in meiner Hand.
    Sie begriff, ihre Augen verdrehten sich, bis nur noch das Wieße zu sehen war, und im nächsten Augenblick trug ich sie auf meinen Armen.
    Das, was ich niemals begreifen werde, ist, dass ich mir dabei gleichzeitig wie ein Verräter vorkam.
     
    Hufschmidt fing mich ab.
    »Du hast sie!«
    »Ja.«
    »Hat sie die … du weißt schon … noch bei sich?«
    »Ja.«
    » Ja?! «
    Ein Malteser oder was auch immer winkte uns um eine Ecke und in den wartenden Sanitätsraum, in dem ein Fan mit einer Schnittwunde und einer mit Alkoholvergiftung behandelt wurden.
    »Raus! Alle raus hier!«, kommandierte Hufschmidt und für einmal war ich dankbar für seinen rüden Umgangston. Ich legte Anoushka – ich kannte immer noch nicht ihren wahren Namen! – auf einer Trage ab, der Kommissar wedelte mit seiner Dienstmarke, trieb die murrenden Sanis und Patienten aus dem Raum, schloss die Tür und lehnte sich dagegen. Dann erst schien ihm bewusst zu werden, worauf er sich hier einließ.
    »Was hast du da vor, Kryszinski?«, brach es aus ihm heraus.
    »Ich schneid ihr die Bombe vom Balg.«
    »Bist du wahnsinnig?«
    »Das Ding ist schon entschärft. Zumindest ist sie nicht losgegangen, nachdem ich alles an Drähten durchgekniffen hatte, was ich ertasten konnte.«
    Ich zeigte ihm die losen Drahtenden vor Anoushkas Bauch, doch war er überzeugt? Nicht wirklich, wenn ich seine Miene richtig las.
    »Bewach

Weitere Kostenlose Bücher