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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Vorhang teilte sich, und die Beleuchtung wurde schummriger, die Beschallung unaufdringlicher, der Rauch dichter. Meine Nasenflügel weiteten sich, mein Speichel begann zu fließen und ich fühlte mein Herz einen guten, runden Beat annehmen.
    Zwei Stunden Zeit, in Ruhe nachzudenken und zu planen, hier war genau der Ort dafür.
    Li ging mir voran, wies um sich, überließ mir die Wahl, wo ich mich ausstrecken wollte.
    Die Ausgestaltung der Lounge war ein wenig unentschieden. Zum einen schien man viel vom Mobiliar des ehemaligen Swinger-Clubs übernommen zu haben – Divane, Chaiselongues, Sofas, schmale, breite Spielwiesen, Kissenberge auf Matratzenlagern, teils öffentlich, teils abgeteilt in Separées – zum anderen war man dann, im Bemühen um authentisches Ambiente, beim gleichen Ausstatter gelandet, dem auch die meisten Asia-Gastronomen vertrauen, was die Smoking Lounge im Endeffekt wie eine Mischung aus Puff und China-Restaurant wirken ließ.
    Die meisten Besucher träumten allein, lagen herum in unterschiedlichen Zuständen von Abgedröhntheit, doch auch das eine oder andere Pärchen döste gemeinsam vor sich hin, verstrickt in wie in Zeitlupe ausgeführte Zärtlichkeiten.
    Ich entschied mich für einen Divan, wenn es keine Chaiselongue war, in einer Nische, die mir gestattete, halbwegs den Überblick zu behalten, ohne selbst wie auf dem Präsentierteller herumzuliegen.
    Was ich vorhatte, war streng genommen Wahnsinn, und daher schien es angeraten zu sein, mit ruhigem Blut und kühlem Kopf vorzugehen.
    Li schob ein Wägelchen heran und begann unverzüglich mit der Vorbereitung. Geraucht wurde aus persischen, aubergine-förmigen Porzellanpfeifen, bei denen das Opium – schwarzes, pastöses, klebriges Shiri, wundervolles Zeugs – rings um eine winzige Öffnung geschmiert und dann mittels eines glühenden Drahts in Rauch aufgelöst wird. Lis Wägelchen war sogar mit einem kleinen Bunsenbrenner ausgestattet, um den Draht auf Temperatur zu bringen.
    Der Rauch war dünn, kaum sichtbar, dafür erst mal recht heiß auf der Zunge, doch schon den Rachen hinunter wirkte er kühl und besänftigend, breitete sich dann in Lunge und Zwerchfell aus wie Nebel in einem Tal. Ich hielt die Luft an und fragte mich, ob dies eventuell schon Anoushkas Lieferung war, die ich hier paffte.
    Li zog weiter und überließ mich meinen Gedanken.
    Das war eine gute Idee gewesen, musste ich mir eingestehen.
    Probleme mit meinen weiterführenden Plänen heute Abend waren nicht zu erwarten. Eher im Gegenteil. So ein Pfeifchen ist nichts. Da hab ich früher ganz andere Dosen gehändelt.
    Gerauchtes Opium braucht seine Zeit, und die ersten Anzeichen, dass es zu wirken begann, waren schwindende Übelkeit und eine enorme Linderung des Wundschmerzes.
    Perfekt, sollten gleich irgendwelche Klettereinlagen nötig werden. Außerdem überkam mich große Ruhe, auch höchst willkommen bei meinem Vorhaben.
    Li sah bei mir vorbei, lächelnd, fürsorglich. Noch ’ne Pfeife? Aber immer. Durfte nur die Zeit nicht aus den Augen verlieren. Sobald Deckart aus dem Haus war, musste ich mich hier mal nach dem Hinterausgang umschauen. Eine Pfeife noch, ein paar Minuten abhängen, bis sie griff, dann los. In aller Heimlichkeit, oder aber in aller Dreistigkeit. Der Erfahrung nach gibt es immer, immer, immer einen Weg hinein.
    Die zweite Pfeife kam und ging. Ich war schmerzfrei, Herr der Lage, für alles gewappnet.
    Die neue Dekadenz, dachte ich. Ich bin ganz dafür.
    Das war Blödsinn gewesen, der ganze Entzug und die Entwöhnung damals. Überreaktion. Man muss ja nicht gleich wieder anfangen zu ballern. Nur ab und zu mal ein Wochenende in der Smoking Lounge abhängen, relaxen, die Fesseln des Alltags abstreifen, wundgescheuerten Nervenenden mit ein wenig Balsam zu einer neuen, geschmeidigen Oberfläche verhelfen, sich wieder erden, den Stress vergessen, anstehende Aufgaben und Probleme ganz neu fokussieren, Kraft tanken, oder einfach nur ein wenig wegnicken, träumen, ja, in aller Unschuld endlich mal wieder träumen, ehe man es ganz verlernt …
     
    *
    Aus einem tiefen Opiat-Dämmer hochzukommen heißt nichts anderes, als das Einsetzen des Entzuges zu spüren. Man erwacht aufgrund der nachlassenden Wirkung, empfindet das als unangenehm, vor allem wenn es auf dem nackten Betonboden eines muffig-kalten, dunklen, ausgesprochen winzigen Raumes geschieht, und spürt den augenblicklichen Drang, sich bemerkbar zu machen, Nachschub zu ordern, Li zu winken, was wirklich

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