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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Einkaufstüten, in denen man auch einen Ping-Pong-Tisch verstauen könnte, und seither lief das Programm, Kristof Kryszinski unauffällig zu gestalten. Unauffällig für die Verhältnisse eines Schwuchtelclubs, heißt das.
    Federboas, falschen Wimpern, Strass und Lipgloss hatte ich schon eine Absage erteilt, genauso wie einer »König der Löwen«-Perücke, dem Ledertucken- wie dem Matrosen-Outfit.
    »Schwieriger Fall.« Die beiden betrachteten mich wie Ärzte einen Patienten mit rätselhaften Symptomen.
    »Natürlich könnten wir ihm immer noch einfach eine E-Gitarre umhängen, und fertig.«
    »Eine E-Gitarre?« Tina verstand nicht.
    »Na ja, du weißt schon. Siebziger-Jahre-Rock-Ikone.«
    Und hach, da musste doch einiges an Kleenex an den Eyeliner gehoben werden.
    »Nein«, entschied Kevin, als sich die Heiterkeit endlich ein wenig gelegt hatte, »unsere einzige Chance ist der Dandy.«
    Ich bat höflich um eine Erläuterung.
    »Tja, Hase«, meinte Kevin auf seine herablassende Art, »das Narziss, das ist die neue Dekadenz. Wo der Überfluss aufs Laster trifft. Du verstehst. Und ich hätte da noch einen hübschen Anzug, den ich dir leihen könnte.«
    »In ’nem Anzug von dir könnte ich froh sein, wenn mir die Hosenbeine bis über die Knie gehen«, murrte ich.
    »Ich bin einsechsunsiebzig!«, protestierte Kevin schrill, um dann etwas verhaltener »mit mittelhohen Absätzen« hinzuzufügen. »Und der Anzug ist nicht von mir. Den hat … jemand … bei mir vergessen. So wie ich ihn. Und damit genug des Themas. Hier ist das gute Stück.«
    Er griff in eine seiner Tüten und zog einen dunkelblauen Anzug mit hellgrauen Nadelstreifen hervor.
    »Aber das ist ja Armani « , juchzte Tina und befummelte den Stoff.
    »Sollte dir passen«, meinte Kevin, Augenmaß nehmend. » Er … war auch ein wenig voll um die Hüften.«
    »Das ist ein Verband!«, beschwerte ich mich.
    »Was auch immer. Doch zuerst …« Er warf den Anzug aufs Bett, beugte sich über einen enormen Schminkkoffer und kam mit einer Schere in der Hand wieder hoch, »… heißt es … schnippschnipp.«
    Mittelscheitel mittellang, mit den Haaren hinter den Ohren, das hat Stil. Zeitlos. Genau wie meine restliche Aufmachung. Maskuline modische Konstanz, nenne ich das. Ein Zustand von Ruhe inmitten des ganzen Trend-Gehechels.
    Tina hielt mir den Spiegel, und ich begriff das erste Mal, warum Frauen nach dem Friseurbesuch zu hysterischen Anfällen neigen. Ich kannte den Typen im Spiegel nicht wieder.
    »Was soll das sein?«, fragte ich rau. »Ein Haarschnitt?«
    Scheitel rechts mit nach links gewischtem Pony und der Rest, tja, kurz. Und ordentlich. Mutter würde es lieben, dachte ich, nickte bei dem Gedanken, und der Pony fiel mir übers Auge. Wie bei …
    »Das ist der Brian-Ferry-Look. Extrem angesagt zurzeit. Doch du musst es im Ganzen sehen. Hier, schlüpf da mal rein.«
    Ich glitt in den Anzug. Es gibt kein anderes Wort dafür. Die Teile zogen sich mir praktisch von selbst über und saßen anschließend wie das Fell an einem Labrador. Eng genug, um das Muskelspiel erahnen zu lassen, und gleichzeitig weit genug, um sich jederzeit den Fuß hinters Ohr klemmen und die Klöten lecken zu können, sollte einem danach sein. Ich war gegen meinen Willen beeindruckt.
    Die Damen nicht so.
    »Na ja«, meinte Tina. »Immerhin besser als vorher.«
    »Aber immer noch verlebt. Und die Fingernägel …«
    »Ein Bad und eine Rasur braucht er auch noch.«
    »Und vielleicht einen Hauch von Kajal … Damit die Augen ein bisschen von den Falten ablenken …«
    »Was machen wir mit den Schuhen?«
    »Die lassen wir. Ausgelatschte Deichmann-Sneaker zu Armani, das geht als feine Ironie durch. Was allerdings nicht durchgeht …« Kevin streifte meine linke Manschette hoch, »… ist das. Wo hast du die denn her?«, wollte er wissen und meinte meine Armbanduhr, treue Begleiterin seit ewigen Zeiten. »Aus dem Kaugummiautomaten?«
     
    »Zu früh zu erscheinen heißt, aus der Provinz oder, du weißt schon, … bedürftig … zu sein.«
    Der Radwechsel am Hummer war mit Tina als handelnder, mir als lenkender und Kevin als hindernder Kraft nur knapp an einer Farce vorbeigeschrammt. Anschließend hatte ich achtzehn Minuten im Bad gebraucht, Tina und Kevin zusammen gefühlte zehnmal so lange. Das war, bevor sie anfingen, ihre jeweiligen Garderoben nach passenden Outfits zu durchwühlen.
    Tina entschied sich schließlich für ein Kostüm im Stil von, tja, Die Garbo auf Reisen, komplett mit

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