Bis zum Hals
Bitter wie Zyankali und gleichzeitig, zumindest für den Initiierten, süßer als in Honig gelöste Zuckerwürfel. Und initiiert war ich, aber holla.
»Nein, nein, nein«, sagte Tina streng und zog mich mit sich. »Da willst du nicht rein. Das ist überhaupt nichts für dich.« Also folgte ich ihr mehr oder weniger willig, doch nicht, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen auf das Messingschild neben der mit rotem Brokat verkleideten Tür. »Smoking Lounge« stand darauf.
Tina und ich fassten erst mal Fuß an der Bar des größten Saals, der Disco. Es war erst um die zehn Uhr und der Laden, wie ein sinkendes Schiff, noch im Zustand ständigen Zulaufs. Die Leute strömten herein und verteilten sich, manche zielstrebig, andere suchend. Alle, ausnahmslos alle schienen entschlossen, sich möglichst rasch in Form zu bringen. Überall wurden Lines gelegt, Blättchen geleckt, Löschpapier gelutscht, gläserne und metallene Pfeifchen entzündet, wilde Mischungen an Pillen mit ebenso abenteuerlich gemixten Getränken runtergespült. Die Raumtemperatur stieg beständig, und Tempo und Schallpegel der Musik mussten alle zwei Minuten nach oben korrigiert werden, um nicht unterzugehen im angeregter und angeregter werdenden allgemeinen Geschnatter. Die Stimmung war … aufgeladen, aufgekratzt, mit weiterhin stark nach oben zeigender Tendenz.
Tina bestellte uns irgendeinen mehr oder weniger halbherzig verdünnten Wodka-Drink, und wir machten Stößerchen, doch schon der erste Schluck wälzte mir den Magen um und brachte mir den Schweiß auf die Braue. Ich entschuldigte mich, nur für einen Moment, und ein schmaler, rosiger Jüngling glitt praktisch unter mir durch auf meinen Hocker und schlug recht effektvoll die Augen nieder.
Ich war vielleicht zehn Schritte weg, eigentlich schon außer Hörweite, als mich noch ein ausgesprochen timbrehaltiges »Stößerchen« erreichte.
Mein ursprüngliches Vorhaben war gewesen, bis kurz vor Mitternacht zwischen möglichst vielen Menschen den Kopf unten zu halten und dann kurzentschlossen in Deckarts Räume einzubrechen. Anoushka war irgendwo in diesem Gebäude, ich wusste es, wie man so etwas eben weiß. Logik gepaart mit Intuition verschwurbelt mit Wunschdenken.
Doch ich konnte mich hier nicht stundenlang unters Volk mischen, ohne als Außenseiter aufzufallen, so wenig wie man sich als, sagen wir, Hund unter lauter Katzen verstecken kann. Ich beherrschte das Vokabular nicht, nicht das der Sprache und nicht das der Bewegungen, fühlte mich angegafft und ausgegrenzt und generell irritiert durch die unverblümt erotisch aufgeladene Atmosphäre des Ganzen.
Ich brauchte einen stilleren Ort, etwas, wohin ich mich für eine Weile zurückziehen konnte, etwas zum Abhängen, raus aus dem Licht, dem Lärm, dem Gebalze …
Eine bezaubernde Asiatin im Geisha-Look wartete im mit dicken Vorhängen abgeteilten Vorraum der Smoking Lounge.
Ein blödsinnig breit wirkendes Schild an ihrem Kimono verriet ihren Namen: Li.
Moodie war von einer Asiatin geleimt worden, damals, wie ich inzwischen wusste, doch war das Jahre her und in Düsseldorf gewesen, und überhaupt kann man sie deshalb ja nicht alle verurteilen.
Der bittere Geruch war überall hier, wie Weihrauch im Petersdom.
Ich trat an Li heran mit dem halb verlegenen und halb entspannten Lächeln von jemandem, der sich verlaufen hat, ohne deshalb aber gleich aus dem Häuschen zu geraten.
»Es tut mir leid«, behauptete ich, »aber ich scheine mich hier …«, ich wies hinter mich, in Richtung der nur noch sehr gedämpft hereindringenden Musik, »… auf die falsche Party verirrt zu haben.« Mit meinem schmalsten, einseitigsten Lächeln ließ ich meine Stirntolle über das Auge fallen, strich sie mit einer Hand zurück, wobei ich der Geisha einen kurzen Blick auf meine Armbanduhr gestattete.
Patek Philippe, no less. Kevins Ex-Lover scheint es gehabt zu haben, säckeweise.
»Man hat mich hier mit einem etwas anderen Versprechen hergelockt.«
»Nun«, sie lächelte servil, »wir werden natürlich alles versuchen, Ihre Erwartungen nicht zu enttäuschen.«
Nur um im gleichen bescheiden-verführerischen Tonfall hinzuzufügen: »Cash oder Credit Card?«
»AmEx okay?«, fragte ich und zupfte die dunkle, titanfarbene Plastikkarte ein winziges Stückchen hervor, und das genügte auch schon.
Zum Glück, denn sie war selbstredend so nutzlos wie alles, das man bei Ata Riese als Bonus für irgendeine andere Anschaffung zugesteckt bekommt.
Der
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