Bismarck 01
mich ins Bein; das war sein parthischer Pfeil!«
»Rauhbeinige Holzerei!« brummte Dewitz. »Du, der Braunschweiger führt eine gute Klinge. Nimm dich zusammen, daß du uns keine Schande machst!« Das gelobte Otto hoch und teuer. Die Mensur stieg also, und anfangs bekam er einige Flächlinge, die weh taten. Der überlegene Fechter schien nur mit ihm zu spielen. Da bekam der Märker eine rechte Wut und ein »Blutiger« quer durchs Gesicht führte unversehens den Konsenior ab. Das gab ein großes Hallo, im Triumph ward der Sieger heimgeführt. Da der Ehre genug geschehen, bahnte sich ein leidlichesVerhältnis zu den übrigen Korps an, die einen so vielversprechenden Anfänger grüßten. Immerhin brannte verschwiegene Rache der Braunschweiger darauf, ihm später einen Denkzettel zu geben.
Seine Couleurbrüder geleiteten ihn sofort in das Allerheiligste ihrer Intimität, indem sie unter besoffenem Gebrüll ihre Spitznamen mit ihm austauschten. »Der da, Georg Haccius, ist der Bulle, wohl zu unterscheiden vom Stadtbullen, vulgo Zimmermann.« »Dies geschniegelte Kerlchen ist ›das Bild‹ ... is nich alles wie jemalt? Und du, ›Chasseur‹, gib dich zu erkennen! Der schwindelt immer Jägerlatein.« »Mein Name ist Iwan der Schreckliche«, stellte sich Hermann v. Stietenkron vor. »Ich bin nämlich bezaubernd liebenswürdig. Dagegen hier ›der Jude‹ (weil er immer Wechselchen bei Juden hat) ist schrecklich feudal und trieft vom Hochmut der Ritterschaft von Calbe, als trüge er schon den blauroten Frack.«
Daß er dieser Körperschaft einst anzugehören hoffe, bekannte der Jüngling mit seufzender Sehnsucht, und Otto tröstete ihn teilnehmend: »Ein edler Ehrgeiz! Von den Calbeschen hab' ich gehört. Dem Verdienste seine Hörner! Ihr Ahnherr war der Ochs an der Krippe von Bethlehem. Solch braves Rindvieh ist als Stammbaum nicht zu verachten.« Der »Jude« sah ihn dumm an und wollte in stößige Unsanftheit geraten, doch der ältere Freiherr v. Uslar-Gleichen, der schon ins Examen steigen wollte, und das inaktive Ehrenmitglied Louis Echte legten sich ins Mittel und drückten ihn auf seinen Sitz nieder. Letzterer, ein Knirps, hieß »der kleine Echte«, und Otto nahm ihn alsbald unter seinen besonderen Paukschutz nach dem Gesetz des Gegensatzes. Im Korps überwogen weitaus die Bürgerlichen, neun Zehntel davon waren Juristen. Als stud. med. meldeten sich nur ein paar, wie Roscher, Klopp, Flügge, man hatte auch einen Forststudenten und einen Theologen, den Kurländer Lauenstein. »Russe, aber guter Deutscher!« schnarrte er treuherzig mit schönstem baltischen Akzent. Otto zweifelte gedehnten Tones: »Paßt das wirklich zusammen?« Doch Studiosus Scharlach schob einen anderen vor: »Hier haben wir das leibhaftige Ausland, homo sapiens hinterwäldlerus! « Er meinte den Mediziner King, Amerikaner aus Charleston, dessen sichere Haltung dem Berliner wohlgefiel und der sogleich versprach, ihn mit seinen Landsleuten, Motley und Coffin bekannt zu machen, die bei den Friesen hospitierten. Zu den Burschenschaften, die sich anfangs gekränkt fühlten, bewahrte Otto übrigens herzliche Beziehungen.
In den Korps als »patenter Kerl« sehr verbindlich empfangen, fand er dort seine Manieren, gute Erziehung, ritterliche Mensuren, Satisfaktionszwang, aber streng royalistische Gesinnung de rigeur , Christenkirchlichkeit guter Ton, vor allem Anhänglichkeit an die verschiedensten Vaterländer, besonders das hannoversche, wobei man den Preußen mit mißtrauischen Augenbetrachtete. Diese Krähwinkelei mißfiel dem Berliner doppelt, einmal als einem Angehörigen der von den Kleinstaaten gehaßten Großmacht, zum anderen Male als einem jungdeutschen Schwärmer für das alte Deutsche Reich, dem jeder Blick auf die Landkarte einen Stich ins Herz gab, wenn er Straßburg unter der Trikolore sah. Im Hannoverschen verletzte ihn auch der englische Anstrich, die Anlehnung an eine ausländische Macht, was seinem kindlich geraden Rechtssinn unerträglich dünkte. Durch leise Sticheleien auf Preußen zeichnete sich vornehmlich ein Korpsier aus, der eine scharfe Zunge führte und trotz seiner zwerghaften Statur ein gewisses Ansehen bei den Korpsbrüdern genoß.
»Kommilitone v. Bismarck, ich komme Ihnen die Blume!« näselte er eines Abends. »Ihr Adlerblick zieht mich immer an. Das gemahnt uns minder Großmächtige an das gewaltige Wappentier der Borussen.«
»Ich komme nach«, versetzte der Preuße gelassen. »Ich schmeichle mir allerdings,
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