Geliebte des Sturms - Croft, S: Geliebte des Sturms - Riding the Storm - ACRO Series, Book 1
1
T -REMY, WAS TREIBST DU SO? - SA VA MAL.
»Und was gibt’s sonst Neues, Dad?«, murmelte Remy vor sich hin. Die Augen zusammengekniffen, spähte er ins Dunkel jenseits der Windschutzscheibe, in den Regen, den die Scheibenwischer kaum bewältigten. Nur mühsam gelang es ihm, den Pick-up die schlammige Straße entlangzusteuern und gleichzeitig die Nummer mit seinem Handy erneut anzuwählen.
Wenn sein Alter behauptete, es gehe schlecht, konnte das nur zweierlei bedeuten: Entweder war alles eigentlich wie immer, sein üblicher Hang zum Drama, oder aber der Weltuntergang stand unmittelbar bevor. Für seinen Vater gab es nur Schwarz oder Weiß, und deshalb hielt Remy selbst sich meistens in einer komfortablen Grauzone auf.
Tatsächlich, in den Augen von Remy senior lief’s meistens ziemlich schlecht, und wenn er T-Remy anrief, wie er in dieser Gegend liebevoll genannt wurde, war’s genauso, als würde er seine persönliche Kavallerie anfordern. Ganz im Navy-Stil. Nur dass Remy im vergangenen Monat seinen Dienst beim SEAL-Team, das zur Navy-Spezialeinheit gehörte, quittiert und vor sieben Tagen seinen
letzten Urlaub angetreten hatte. Was er seinem Dad nur ungern verraten würde.
Nun trittst du in die Fußstapfen deines Alten, hatte Remy senior vor acht Jahren voller Stolz verkündet und die Papiere unterzeichnet, um seinem Sohn an dessen siebzehnten Geburtstag den Eintritt in die Navy zu ermöglichen, direkt nach dem Highschool-Abschluss.
Dank der Navy war Remy dem Bayou entflohen, und nie zuvor hatte er eine härtere Aufgabe bestanden, als es ins SEAL-Team zu schaffen. Genauso schwer war ihm jetzt der Abschied gefallen. Aber er wusste, dass es ihm in jeder Hinsicht an Teamgeist fehlte.
Natürlich gab es keinen Grund, warum er nicht in den grünen, von Gott gesegneten Bayou fahren und nach seinem Vater sehen sollte. Familie ist nun mal Familie, dachte er, und all diese Scheiße. Trotzdem war es das Letzte, worauf er Lust hatte.
Immer noch hob keiner ab. Noch nicht einmal ein Anrufbeantworter am Ende der Leitung, oder eine Mailbox über die Mobilnummer. Seit Remy seniors letztem Anruf waren drei Tage und sieben Stunden verstrichen. Er warf das Telefon beiseite und manövrierte den Wagen auf der Schlammstraße dahin, die zum Haus seines Alten führte. Die Hurrikansaison hatte in diesem Jahr besonders schwere Schäden im Bayou angerichtet, und er war sich nicht sicher, ob sein Vater deshalb angerufen hatte.
Letzte Nacht hatte Remy im Schlaf wieder gezeichnet - dasselbe Bild, das er seit seinem sechsten Lebensjahr zeichnete, und das er in den letzten sechs Monaten jede Nacht gezeichnet hatte. Eine Faust vor dem Hintergrund dichter Wolken, die eine Handvoll greller Blitze umklammerte.
Und er wusste, der Hurrikan, der in später Nacht dem Nichts entsprungen war, würde ihm von der Küste landeinwärts folgen. Schon immer hatte er Stürme angelockt. Eine menschliche Wetterfahne. Einem Gerücht zufolge war er während eines Hurrikans geboren und dann vor der Kirchentür ausgesetzt worden, vom heulenden nächtlichen Wind umtost.
Irgendwas verband ihn mit dem Wetter, das ließ sich nicht leugnen. Er sah es voraus, stand es entschlossen durch, wusste immer, wann Mutter Natur ihm wieder in die Parade fahren würde. »Sturm« - so hatten ihn seine ehemaligen Teamkameraden genannt, keineswegs im Scherz und meistens nur, wenn er außer Hörweite war. Denn Remy hielt nichts von solchen Witzen.
Neuerdings übertrieb Mutter Erde die magische Wirkung, die sie auf ihn ausübte. Sie hatte schon das Ende seines militärischen Dienstes erzwungen, und auch dieser Tag bildete keine Ausnahme. Das merkte er besonders deutlich, als die Brücke hinter seinem Pick-up einstürzte. Es fiel ihm schwer, nicht fasziniert zurückzuschauen, um mit anzusehen, wie die schweren Balken - die es dort gegeben hatte, so lange er denken konnte - unter klagenden Windstößen wie Streichhölzer auseinanderbrachen.
Nein, das verhieß nichts Gutes. Er hatte keine Lust, im schlammigen Wasser zu schwimmen. Oder dass sein Wagen dabei draufging. Ganz zu schweigen von seinen schmerzenden Rippen. Gleich nachdem er sein Apartment in Norfolk verlassen hatte, um zum Bayou zu fahren, war er überfallen und beinahe ausgeraubt worden.
Vorsichtshalber gab er weniger Gas, denn er wollte nicht riskieren, dass die nächste Brücke direkt unter ihm
zusammenbrach. Noch fünf endlose Meter, und er würde das Niemandsland erreichen. Wie er hier wieder rauskommen sollte -
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