Bismarck 02
Salon, bis sich die Türen des Speisesaals öffneten und die Gäste nach Beendigung des Mahls hinausschritten. Zuerst kam der Kanzler selbst, den armen Favre unterfassend, den er hielt und führte. Sein Mitleid hatte triumphiert, und er behandelte jetzt den zweifelhaften Minister mit achtungsvollem Zartgefühl. Als sich Cresson von seinem Fauteuil erhob, drückte ihn die starke Hand des Gehaßten leicht nieder: »Bitte, Herr Präfekt, sitzen bleiben. Ich wünsche ein Gespräch mit Ihnen.« Damit ließ er sich auf einen einfachen Strohstuhl nieder, wobei er eine Likörflasche neben sich auf das Piano stellte. »Haben Sie sich mit General Stosch geeinigt?«
Cressons Referat schloß damit: »Ich komme morgen mit dem Handelsminister, um auszumachen, was wir für die Zufuhr bezahlen müssen.«
»Das versetzt mich in große Zufriedenheit. Es freut mich unbändig, Provianttransporte nach Paris zu schicken.« Er lachte laut und herzlich. Cresson verstand nicht und schien an eine Anwandlung von Großmut zu glauben. Denn er erwiderte höflich:
»Eure Exzellenz sind ein so furchtbarer Feind, daß Sie sich auch als edelmütiger Widersacher zeigen dürfen.«
Doch Otto goß sich Likör in ein silbernes Schälchen ein und lachte wieder. »Aber nein, durchaus nicht! Aber wenn die Pariser endlich ausreichend zu essen bekommen, wird das ihre Nerven beruhigen und ihrem bedrückten Gemüte wohltun, so daß wir besser miteinander auskommen.«
Cresson suchte den Hieb zu parieren. »Eure Exzellenz kennen die Pariser nicht. Ruhm und Vaterland gehen ihnen über ihr Brot.«
»Möglich, hätte aber ein deutscher General gewagt, eine deutsche Stadt von zwei Millionen Seelen dem Hungertode zu überantworten, so würde ein Kriegsgericht ihn strafen. Die Pariser hielten sich brav, Ihre Regierung aber handelte unmenschlich.«
Er erhob seine Stimme, damit Favre hören sollte, der am Kamin im Gespräch mit einem Offizier lehnte. Der Präfekt erwiderte mit Fassung: »Zweifellos beeinflußten gerade die Gebote der Menschlichkeit unsere Regierung der Landesverteidigung. Deshalb willigte sie in den Waffenstillstand. Doch die Pariser selbst würden noch weiter sich opfern, um den Kampf fortzusetzen. Das ist auch meine eigene Meinung.« Damit stand er auf. Otto aber wandte sich an Favre, ergriff ihn bei der Hand und wies auf Cresson mit dem Ausdruck lebhafter Genugtuung:
»Das ist der ehrlichste Republikaner, den ich je kennen lernte. Ich liebe die Franzosen nicht, doch vor dem französischen Patriotismus ziehe ich den Hut.«
Gleichsam um diese Wallung auszunützen, wies Favre durch das offene Fenster, wo der Rauch der langsam niederbrennenden Ruinen von St. Cloud immer noch den Horizont schwärzte: »Und dann bieten Sie uns ein solches Schauspiel! Verdient unsere Vaterlandsliebe, daß man die Menschlichkeit mit Füßen tritt und den heiligen Boden Frankreichs mit Ruinen seiner historischen Stätten besät?«
Auf der Stelle änderte sich der freundliche Ausdruck des Gewaltigen, seine gewohnheitsmäßig sanfte Stimme klang hart und niederschmetternd: »Uns ist deutscher Boden geradeso heilig. Die Franzosen reisen ja nicht, und so haben Sie wohl nie die Ruinen unserer Schlösser gesehen? Ein besonderer Emissär und Kommissar französischer Kultur namens Mélac hat solche Spuren seiner zivilisatorischen Bestrebungen hinterlassen, daß noch heut Heidelberg und Speier und die ganze Pfalz sich eures Erbarmens erinnern. Die französische Soldateska hat, wo sie je hinkam, am Rhein, in Franken, in Westfalen, wie in Holland und Italien, mongolisch gehaust. Ihr seid die grausamsten, brutalsten und habgierigsten Eroberungssüchtigen, euch ist jeder Krieg gerecht, wenn ihr brandschatzen und plündern, sengen und morden könnt, nur der Krieg ist ungerecht, in dem ihr Prügel bekommt. Ja, der Geist Ludwigs XIV. ist immer mächtig in euch, und mit dem führen wir Krieg bis zum bittern Ende.«
Auf diesen niederschmetternden Hammerstreich des Donar erwiderten die Franzosen nur durch geducktes Schweigen. In lichten Augenblicken ihres Wahnsinns sahen sie immer die Wahrheit, doch gleich darauf rollen die Weihrauchwolken ihrer selbstverliebten Blindheit wieder darüber hin.
Favre nippte zuerst wie ein bleichsüchtiges Schulmädchen, sein langes Gesicht wurde immer länger und blasser, wie es dem Vertreter einer hungernden Stadt geziemt, doch bald sprach er Speis und Trank zu wie einer, der lang gefastet hat. Gleich zuerst jagte ihm Otto heilsamen Schrecken ein,
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