Bismarck 02
man die Friedenspfeife rauchte, den gewiegten Advokaten in ein unauffälliges Kreuzverhör zu nehmen und ihm dann in veränderter und erweiterter Auflage alles das als seine eigene Kenntnis der Pariser Dinge zu wiederholen, was er just vorher ausfragte.
Am 29. fand ein Galadiner statt, wobei ein Dutzend Offiziere und Beamte in großer Uniform erschienen. Auf der Tafel prunkten massive Silberbestecke. Um sich für die Ausflucht zu rächen, daß Favre sich hinter die Möglichkeit zu verstecken suchte, seine Vollmachten könnten nicht weit genug gehen, behandelte Otto ihn grausamerweise immer noch nicht als Minister. Er selbst setzte sich in die Mitte der Tafelrunde und lud den Ordonnanzoffizier Hérisson ein, neben ihm Platz zu nehmen, während dessen hoher Vorgesetzter sich ohne Ehrenplatz begnügen mußte, Hérisson zögerte und fragte Favre mit den Augen, der ganz geknickt und gottergeben winkte: »Gehen Sie, mein Kind!« Der junge Offizier staunte zunächst über den germanischen Durst seines schrecklichen Nachbarn, der seinen silbernen Becher mit Bier oder Champagner fortwährend füllte und auf einen Zug leertrank, sodann über dessen heitere Gemütlichkeit, die so rein nichts von den üblichen Gepflogenheiten der sogenannten Staatsmänner hatte. Ihm fehlte jedes Talent zur Feierlichkeit. In die ernstesten Gespräche warf er Witze hinein. Ferner erstaunte Hérisson nicht wenig, als der Kanzler ihm zurief: »Da fällt mir ein, ich kenne Sie ja, ich sah Sie schon früher. Halt, ich hab's! Auf der Freitreppe des Mesmerhauses in Baden-Baden – Fürstin Mentschikow stellte Sie mir vor.« Hérisson wußte das sehr gut, hätte aber nicht erwartet, daß der große Herr sich eines unbedeutenden Sterblichen erinnern könnte. Unterdrückter Bewunderungschorus über ein solches Gedächtnis! Mittlerweile wischte sich der arme alte Favre mehrmals mit der Serviette die Augen und machte seinen patriotischen Schmerz so lächerlich, daß Hérisson als gewandter Franzmann zu blaguieren anfing. Paris sei gar nicht verhungert, sondern mache sich nur lustig über leere Bäuche. Dazwischen erzählte er von Palikao und dem Feldzug in China, wo dieser so viel Diamanten stahl, und tauschte mit dem Kanzler das schönste Jägerlatein aus, da er in Weidmannsdingen Bescheid wußte. Favre hockte zusammengesunken auf seinem Stuhl, wie begraben unter seinen langen weißen Haaren und schien aus einem Traum zu erwachen, wenn jemand ihn anredete. Dann schüttelte er sich und stieg ins obere Stockwerk hinauf, wo das Verhandlungszimmer sich befand. Otto folgte ihm dorthin aus dem Erdgeschoß. Hérisson, mit dem er sich auf herzliche Vertraulichkeit des Umgangstons einließ, verglich den Koloß mit einem gutmütigen Löwen, der mit Hündchen oder Miezekätzchen spielt und seine gewaltige Klaue einzieht, um sie nicht zu verletzen. Doch kam die Tatze des Löwen zum Vorschein, sobald Favre ein Plaidoyer für Frankreichs noble Gesinnungen hielt, die sich so dankbar erweisen würden, wenn man es schone. »Ich bitte, solche larmoyanten Tiraden zu unterlassen. Ihre Nation ist so eitel, daß sie uns nie ihre Niederlage verzeihen würde, selbst wenn wir ihr Gebiet ohne Entschädigung räumten. Die dieser tollen Eitelkeit geschlagene Wunde würde auch dann geradeso bluten und erst vernarben, wenn Sie uns erneut mit Krieg überziehen. Allein werden Sie fortan zu schwach sein, aber Sie würden Bundesgenossen werben, und sollten Sie den letzten Sou drangeben. Im Interesse Europas, nicht nur Deutschlands, müssen wir einen neuen, vielleicht noch ernsteren Krieg zu verhüten suchen, indem wir Frankreich bis aufs Blut schwächen und es auf lange unschädlich machen.«
Auf solche Majestätsbeleidigung der Großen Nation wußte Favre keine andere Antwort als stille Tränen, während Hérisson sich in bitteres Schweigen hüllte. Beide Franzosen fühlten die Wahrheit so unerhörter Sprache. Denn bekanntlich dürfen die leichtfüßigen Gallier überall sengen und brennen, so viel Länder an sich reißen, als ihnen beliebt, aber wenn man sie niederhaut und ihnen geraubtes Gut wieder abnimmt, so lehnt man sich gegen die moralische Weltordnung auf und begeht ein unsühnbares Verbrechen an der Menschheit, die ja bekanntlich nur auf Mariannes schönen Augen beruht.
Am 30. brachte Favre den Polizeipräfekten Cresson mit, der wegen Proviantierung von Paris mit General v. Stosch verhandeln sollte. Dieser lehnte ab, zum Diner zugezogen zu werden, und wartete im angrenzenden
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